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Die Würfel sind gefallen – Indien schließt sich eng an Amerika an

Die Würfel sind gefallen – Indien schließt sich eng an Amerika an

Im neuen globalen Wettbewerb um Vormacht prägen nicht nur Amerika und China, sondern auch Mittelmächte die Dynamik. Ulrich Speck analysiert die geopolitischen Positionierungen von Japan, Indien, Frankreich und Deutschland in einer vierteiligen Serie.
Auf dem Weg zur immer engeren strategischen Partnerschaft: Modi zu Besuch im Weissen Haus.

Im neuen globalen Wettbewerb um Vormacht prägen nicht nur Amerika und China, sondern auch Mittelmächte die Dynamik. Ulrich Speck analysiert die geopolitischen Positionierungen von Japan, Indien, Frankreich und Deutschland in einer vierteiligen Serie.

Während sich Japan mittlerweile deutlich als Gegenspieler zu einem zunehmend aggressiv und expansiv auftretenden China positioniert, scheint Indien nach wie vor zwischen den Lagern zu lavieren. Im Juni war Premierminister Modi in Washington zu Besuch – und im folgenden Monat dann Gastgeber eines virtuellen Treffens der Shanghai Cooperation Organisation, an dem der chinesische Präsident Xi und der russische Präsident Putin teilnahmen. Kein Wunder, dass Indien immer wieder als Beleg dient, wenn es darum geht, über das Heraufziehen einer vermeintlich multipolaren Weltordnung mit vielen autonomen Zentren zu mutmaßen.

Doch der Schein trügt. Längst sind die Würfel in Delhi gefallen. Der erneute offene Ausbruch des Grenzkonflikts mit China im Himalaja im Mai 2020 hat die indische Seite endgültig davon überzeugt, dass Chinas Aufstieg eine akute Bedrohung ist, für die eigene Sicherheit wie für die Sicherheit der Region insgesamt. Dass China jetzt die letzten indischen Journalisten ausgewiesen hat, ist nur eine weitere Stufe der Erkaltung in einer Beziehung, in der freundschaftliche Umgangsformen darüber hinwegtäuschen, dass längst Gegnerschaft an die Stelle von Partnerschaft getreten ist.

So hat Modi in seiner Rede vor den beiden Häusern des amerikanischen Kongresses im Juni von den «dunklen Wolken» eines Konflikts im Indopazifik gesprochen. Es drohe, sagte er mit Blick auf China, eine «Welt der Rivalitäten ohne Regeln».

Peking strebt nach Hegemonie

Noch deutlicher äusserte sich im März der indische Armeechef Manoj Pande in einer Rede. China erhebe den Anspruch, «das kulturelle, politische und wirtschaftliche Zentrum der Welt» zu werden, zur «führenden Supermacht» aufzusteigen. Durch seine «zunehmende Aggressivität» stelle China eine Bedrohung der regelbasierten internationalen Ordnung dar. China könne mittlerweile «regionale geopolitische Entwicklungen diktieren». Peking versuche, mithilfe von Druckmitteln Beziehungen entsprechend seiner Auffassung zu gestalten, dass tributpflichtige Staaten sich unterwerfen müssten.

Es sei die Aufgabe von Indien und den USA, so Modi in Washington, gemeinsam eine «neue Weltordnung» aufzubauen, die auf internationalem Recht und Multilateralismus gründe. Die USA und Indien seien sich einig in der Vision eines «freien, offenen und inklusiven Indopazifik, verbunden durch sichere Meere, definiert durch internationales Recht, frei von Vorherrschaft» – einer Region, in der «alle Länder, klein und groß, frei sind und sich ohne Angst entscheiden können». Die Quad – die wichtiger werdende Partnerschaft von Japan, Indien, den USA und Australien – sei eine «wesentliche Kraft des Guten für die Region» geworden, so Modi.

Das Kalkül Delhis ist offensichtlich: Ohne die USA ist es nicht möglich, den nötigen Gegendruck gegen China aufzubauen. Wie der indische Kommentator Brahma Chellaney schreibt: Es wird immer deutlicher, «dass keine einzelne demokratische Macht Xis Regime ausreichende Kosten auferlegen kann für seinen maritimen und territorialen Revisionismus, geschweige denn Peking dazu zwingen kann, den Kurs zu ändern». Und der Analyst C. Raja Mohan kommentiert: Durch die Partnerschaft mit den USA sei es möglich, ein Asien aufzubauen, das nicht von einer einzigen Macht unterworfen werden könne.

Indien hat seine Beziehungen im Indopazifik deutlich ausgebaut und konzentriert sich immer mehr auf maritime Sicherheit. 2018 hat Modi auf der Shangri-La-Sicherheitskonferenz in Singapur erklärt, das «Schicksal der Welt» werde erheblich durch die Entwicklungen im Indopazifik beeinflusst. Regeln und Normen müssten auf der «Zustimmung aller» beruhen, nicht auf der «Macht der wenigen».

Parteinahme für die Philippinen

Ende Juni hat sich Indien nun auch im Territorialstreit zwischen China und den Philippinen positioniert – auf der Seite der Philippinen, die von China nahezu täglich in den umstrittenen maritimen Gebieten drangsaliert werden. In einem gemeinsamen Statement mit seinem philippinischen Amtskollegen Manalo hat der indische Außenminister Jaishankar Peking dazu aufgerufen, das Urteil des Ständigen Schiedshofs in Den Haag von 2016 zu respektieren, das die chinesischen Vormachtansprüche im Südchinesischen Meer zurückgewiesen hatte.

Indien ist über die Möglichkeit eines Konflikts im Indopazifik gleich aus mehreren Gründen besorgt. Erstens würden bei einem großen Krieg wichtige maritime Lebensadern der globalen Wirtschaft unterbrochen. Zweitens würde China im Falle eines Sieges noch bedrohlicher für Indien werden. Drittens müsste Indien damit rechnen, direkt in den Konflikt hineingezogen zu werden, falls China eine zweite Front gegen Indien im Himalaja eröffnen würde.

All dies treibt Indien in die Arme Amerikas. Allein ist Indien in einer Position der Schwäche gegenüber China – gemeinsam mit den USA und regionalen Partnern wie Japan hingegen in einer Position der Stärke. Der Besuch Modis in Washington hat deutlich gemacht, dass beide Seiten jetzt dazu bereit sind. Die Dimension der vereinbarten Zusammenarbeit bei Technologie, Verteidigung und Klimawandel sei «atemberaubend», schreibt Mohan.

Zugang zu amerikanischer Technologie

Es wurde eine umfassende Partnerschaft auf den Weg gebracht, die unter anderem den Zugang Indiens zu moderner Militärtechnologie wie Drohnen und Kampfjet-Triebwerken ermöglicht. Dabei geht es nicht mehr nur um den Verkauf von amerikanischer militärischer Hardware, sondern um die Integration indischer Unternehmen in die Lieferketten der amerikanischen Verteidigungsindustrie – eine neue, auf lange Dauer angelegte Dimension der Zusammenarbeit.

Die Partnerschaft mit den USA und die engere Verbindung mit Japan bedeuten nicht, dass in Asien eine Militärallianz zur Eindämmung Chinas entsteht. Indien sieht sich auch weiterhin als eigenständige Macht, die Spielräume erhalten und nutzen will. Insbesondere glaubt man in Delhi, dass die amerikanische Unterstützung ungenügend ist in Bezug auf die prekäre Sicherheitslage an der Grenze zu China.

Wie der indische Armeechef Pande im März mit Blick auf die Quad sagte: Die Verbindung werde zwar intensiver, doch Indien könne keine militärische Unterstützung im Fall eines Konflikts erwarten – Indien könne im Ernstfall nur auf sich selbst zählen.

Das Szenario, das Indien am meisten Sorge macht, ist der enge Zusammenschluss dreier Nuklearmächte: Pakistans, Russlands und Chinas. Die Sicherheitslage im Norden bleibt prekär. China bindet Pakistan, mit dem Indien sei 1947 vier Kriege geführt hat, näher an sich. Zugleich wird ein geschwächtes Russland immer mehr zum Juniorpartner Chinas.

Über Jahrzehnte war Russland für Indien ein enger Partner. Diplomatisch hat Russland Indien im Uno-Sicherheitsrat unterstützt, auch im Konflikt mit Pakistan, und Moskau bleibt wichtig als Lieferant von Energie und Waffen. Delhi will Russland nicht vor den Kopf stoßen und hofft nach wie vor auf gewisse Distanz zwischen Moskau und Peking.

Aus dieser Motivlage heraus hat Indien den russischen Angriff auf die Ukraine nicht deutlich verurteilt und beteiligt sich nicht an Sanktionen. Immerhin hat Modi im August 2022 Putin vor laufenden Kameras deutlich gesagt: «Dies ist nicht die Zeit für Krieg.» Und im Mai dieses Jahres hatte Modi ein freundschaftliches Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski am Rande des G-7-Gipfels im japanischen Hiroshima.

Russland verliert an Bedeutung

Doch die Bedeutung der Verbindung mit Russland nimmt immer mehr ab. Indien, dessen Waffen zu 60 Prozent aus Russland stammen, bemüht sich schon seit Jahren um Diversifikation beim Einkauf von Waffen, die USA, Frankreich und Israel werden wichtige Partner im Rüstungsbereich. Zugleich sinken die Chancen, mithilfe von Russland China entgegenzutreten, in dem Masse, in dem Russland von China abhängig wird. Zudem bieten russische Waffen längst keinen militärischen Vorsprung mehr gegenüber China.

Die geopolitischen Trends sind deutlich. In der Vergangenheit hat sich Indien um eine eigenständige Rolle bemüht, hat «strategische Autonomie» und «multipolare Welt» beschworen. Doch je aggressiver China auftritt, umso wichtiger wird für Delhi der Aufbau von Gegenmacht. Der wichtigste Partner dabei sind die USA.

Zwar hätten das Erbe des Kolonialismus und die Gegensätze des Kalten Krieges dazu geführt, dass Indien Vorbehalte gegen die Partnerschaft mit Washington habe, schreibt Chellaney. Doch in Wahrheit sei Indien «bereits Teil des politischen Westens». Und die wachsende Bedrohung durch China sorge dafür, dass sich die «Anziehungskraft» des Westens «trotz allen Zögerlichkeiten Delhis nur noch verstärken wird».

Autor: Ulrich Speck · Artikel aus der NZZ · Bild: Auf dem Weg zur immer engeren strategischen Partnerschaft: Modi zu Besuch im Weissen Haus (Evelyn Hockstein / Reuters)

Mit freundlicher Genehmigung der NZZ und auf vertraglicher Grundlage.

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