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Wie Japan Chinas Vormachtanspruch im Indopazifik entgegentritt

Wie Japan Chinas Vormachtanspruch im Indopazifik entgegentritt

Im neuen globalen Wettbewerb um Vormacht prägen nicht nur Amerika und China, sondern auch Mittelmächte die Dynamik. Ulrich Speck analysiert die geopolitischen Positionierungen von Japan, Indien, Frankreich und Deutschland in einer vierteiligen Serie.
Auf der Suche nach Partnern im Bemühen, ein Gleichgewicht zu China zu schaffen, ist der japanische Ministerpräsident Kishida (Vierter von links) auch zunehmend in Europa aktiv, hier am Nato-Gipfel in Vilnius. Sean Gallup / Getty

Im neuen globalen Wettbewerb um Vormacht prägen nicht nur Amerika und China, sondern auch Mittelmächte die Dynamik. Ulrich Speck analysiert die geopolitischen Positionierungen von Japan, Indien, Frankreich und Deutschland in einer vierteiligen Serie.

Japan gehörte zu den großen Profiteuren der amerikanisch geprägten Ordnung, die Washington nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa und im pazifischen Asien etablierte. Wie Deutschland hatte Japan einen brutalen Krieg um regionale Hegemonie geführt, und wie Deutschland wurde Japan von einer breiten Koalition unter amerikanischer Führung besiegt und anschließend eingegliedert in eine neue, an demokratisch-liberalen Prinzipien orientierte Ordnung.

Beide Länder entwickelten sich zu demokratischen Musterschülern, die jeder Expansion abschworen und sich ganz auf wirtschaftliche Prosperität fokussierten statt auf Eroberung und Unterwerfung. Wie Deutschland in Europa wurde Japan in Asien zu einem Pfeiler der liberalen Ordnung, zu einem zentralen und zuverlässigen Alliierten und Kraftverstärker der amerikanisch geprägten und geführten Nachkriegsordnung, die sich nach Ende des Kalten Kriegs dann zur globalen Ordnung ausweitete.

Japan richtete es sich ebenso wie Deutschland bequem in dieser neuen Ordnung ein. Es entwickelte sich eine Arbeitsteilung mit Amerika, das die Bereiche Verteidigung und Gestaltung des strategischen Umfeldes weitgehend übernahm.

Bedrohung durch China

All das ändert sich seit einigen Jahren. Japan wird zum militärischen Akteur und entwickelt eigene regionale Gestaltungsmacht. Zwei Faktoren sind dabei entscheidend. Erstens wächst die Bedrohung durch den direkten Nachbarn China, der massiv aufrüstet, konventionell und nuklear, und seinen wirtschaftlichen Aufstieg immer unverblümter in den Anspruch auf regionale Hegemonie übersetzt. Während die japanische Sicherheitsstrategie von 2013 China noch einen «strategischen Partner» nannte, bezeichnet die neue Strategie vom Dezember 2022 China als «die größte strategische Herausforderung» für Japans Sicherheit.

Seit Jahren verhält sich China direkt aggressiv gegenüber Japan. Peking lässt seine Bomber in die Nähe des japanischen Luftraums fliegen oder schießt ballistische Raketen in die exklusive ökonomische Zone Japans. Zugleich dringt die chinesische Marine häufig in japanische Territorialgewässer ein.

Zudem liegt Japan direkt an der Frontlinie des Konflikts um Taiwan. Im Oktober vergangenen Jahres hat der chinesische Präsident Xi mit der Invasion Taiwans gedroht: «Wir werden niemals versprechen, auf den Gebrauch von Gewalt zu verzichten, und wir behalten uns die Option vor, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen», heißt es im Arbeitsbericht der Regierung. Auf der anderen Seite hat US-Präsident Biden mehrfach erklärt, Amerika würde Taiwan bei einem chinesischen Angriff zu Hilfe kommen.

Für Japan steht dabei sehr viel auf dem Spiel. Japan würde eine «Schlüsselrolle» in einem Konflikt im Indopazifik spielen, sagte Mark Milley, Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs der USA, kürzlich. Auf den amerikanischen Militärbasen in Japan sind etwa 55 000 Soldaten stationiert.

Zugleich ist die Verteidigung Taiwans auch ein vitales Interesse Japans. Würde China Taiwan erobern, dann wäre die regionale Sicherheitsordnung zerstört. Die direkte Bedrohung Japans durch China würde erheblich anwachsen: China käme durch die Annexion Taiwans in eine militärstrategisch günstige Lage; die japanische Insel Yonaguni liegt nur 100 Kilometer von Taiwan entfernt.

Regionale Gegenmacht

Japan positioniert sich immer offener als regionale Gegenmacht zu China. China fordere die bestehende Ordnung in grundlegender Weise heraus, erklärte Ministerpräsident Kishida in einer Rede in Washington im Januar: Peking «hat Visionen und Ansprüche an die internationale Ordnung, die sich von unseren unterscheiden und die wir nie akzeptieren können». Peking müsse die etablierten internationalen Regeln akzeptieren. Tokio werde «niemals» erlauben, dass ein unilateraler, gewaltsamer Wandel des Status quo stattfinde – also die Eroberung Taiwans durch China.

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat das Bedrohungsgefühl in Japan nochmals deutlich verstärkt, auch in der Bevölkerung. Es sei klargeworden, so Kishida in Washington, dass Globalisierung und Interdependenz nicht ausreichten, um den Frieden zu bewahren. Der Krieg in der Ukraine sei ein «Moment der Wahrheit» für Japan. Wenn man diese unilaterale Veränderung des Status quo akzeptiere, werde dasselbe «anderswo in der Welt passieren, auch in Asien».

Der zweite Faktor, der Japan zu größerem Engagement in Sicherheitsfragen antreibt, ist der Trump-Schock. Dass ein so dilettantisch agierender, unberechenbarer Präsident, zwischen halbgaren Deals mit strategischen Gegnern und Isolationismus schwankend, ins Weisse Haus kommen kann, hat in Japan das Bewusstsein dafür geschärft, dass der amerikanische Schutz nicht mehr als selbstverständlich angesehen werden kann.

Während seines Wahlkampfs hatte Trump mit Blick auf Japan erklärt: «Wenn wir angegriffen werden, dann müssen sie uns nicht verteidigen. Wenn sie angegriffen werden, dann müssen wir sie verteidigen. Das ist ein echtes Problem.» Tokio befürchtete, dass ein amerikanischer Deal mit Nordkorea dazu führen könnte, dass die USA Truppen aus Japan zurückziehen.

Der Mix aus wachsender Bedrohung durch China und Zweifel an der amerikanischen Sicherheitsgarantie hat in Japan zu einem fundamentalen Umdenken geführt, zur schrittweisen Verabschiedung vom Pazifismus. Die neue Strategie ruht auf zwei Pfeilern: auf der Stärkung der eigenen Streitkräfte und dem Auf- und Ausbau von Partnerschaften neben dem Bündnis mit den USA.

Japan plant die Verdopplung des Verteidigungsetats von ein auf zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts in den nächsten Jahren. Zudem will es seine «Rückschlagfähigkeit» entwickeln, um China und Nordkorea mit der Drohung eines Gegenschlags von einem allfälligen Angriff abzuschrecken. Japan diversifiziert zugleich die Quellen seiner militärischen Ausrüstung, so soll etwa gemeinsam mit Italien und Großbritannien ein neuer Kampfjet entwickelt werden.

Japan setzt auf neue Koalitionen

Der zweite Pfeiler der japanischen Strategie ist der Aufbau von Koalitionen mit dem Ziel, Chinas Aufstieg machtpolitisch auszugleichen und es von Aggressionen abzuschrecken.

Der «Anker» japanischer Sicherheit bleiben dabei die USA, sie sind auf lange Zeit unersetzlich für Tokio. Doch zugleich muss Japan selbst seine ökonomische Stärke in sicherheitspolitische Relevanz umsetzen. Denn der Aufstieg eines nach Hegemonie strebenden China sprengt den alten Deal Japans mit Amerika. Für Jahrzehnte war das Management regionaler Sicherheit im Indopazifik für die USA recht kostengünstig. Doch je mehr China aufrüstet und sich als regionale und globale Gegenmacht zu Amerika aufstellt, desto aufwendiger wird die Bewahrung des Status quo.

Für Tokio ist es offensichtlich, dass nur ein sich selbst um Sicherheit kümmerndes Japan den Frieden zu bewahren vermag. Ministerpräsident Kishida kann dabei auf die Vorarbeiten seines Amtsvorgängers Shinzo Abe zurückgreifen. Abe hatte schon 2007 in Indien das Konzept des «Indopazifiks» propagiert, als Verbindung von Pazifik und Indischem Ozean – «Meere der Freiheit und der Prosperität». Abe hatte auch schon ein Format vorgeschlagen, das in den vergangenen Jahren immer wichtiger wurde: die Quad, zusammengesetzt aus Japan, Indien, Australien und den USA, die sich seit 2021 auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs jährlich trifft. Keine militärische Allianz, aber doch eine strategische Partnerschaft, die unverkennbar den Zweck hat, chinesische Vormachtansprüche einzudämmen.

In den vergangenen Monaten hat Kishida daran gearbeitet, die historischen Streitpunkte mit Südkorea aus dem Weg zu räumen. Ebenso bemüht er sich darum, das Verhältnis mit Indien und den Philippinen zu vertiefen.

Mit Europa ist Japan ebenfalls im engen Austausch. Über die G-7 ist Japan eingebunden in ein Schlüsselformat des Westens. Kishida hat Kiew besucht, Japan unterstützt die Ukraine mit Milliarden. Der Versuch, ein Nato-Büro in Tokio einzurichten, ist zwar einstweilen wegen des Vetos des französischen Präsidenten Macron gescheitert. Dennoch florieren die Verbindungen zwischen Europa und Japan im Sicherheitsbereich, wie die Teilnahme Kishidas am Nato-Gipfel in Vilnius zeigt. Japans Zeitenwende ist in vollem Gange.

Autor: Ulrich Speck · Artikel aus der NZZ · Bild: Die Zentrale der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank in Peking. Chinas Regierung erdachte die multilaterale Entwicklungsbank im Jahr 2015, um der amerikanisch dominierten Weltbank etwas entgegenzusetzen (Costfoto/Getty)

Mit freundlicher Genehmigung der NZZ und auf vertraglicher Grundlage.

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