Meldungen & Publikationen

Deutsche China-Strategie: Die Umsetzung muss entschlossener erfolgen als die Veröffentlichung

Deutsche China-Strategie: Die Umsetzung muss entschlossener erfolgen als die Veröffentlichung

Kurz vor der Sommerpause hat Außenministerin Annalena Baerbock die China-Strategie vorgestellt. Das Vorgehen der Bundesregierung ist auf Kritik gestoßen. Das sind die fünf am stärksten debattierten Punkte.
Deutsche China-Strategie: Die Umsetzung muss entschlossener erfolgen als die Veröffentlichung

Kurz vor der Sommerpause hat Außenministerin Annalena Baerbock die China-Strategie vorgestellt. Das Vorgehen der Bundesregierung ist auf Kritik gestoßen. Das sind die fünf am stärksten debattierten Punkte.

Das ist passiert: 83 Wochen nachdem die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten hatte, Deutschland brauche eine umfassende China-Strategie, hat diese Außenministerin Annalena Baerbock im Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin vorgestellt. Die China-Strategie soll Deutschlands künftigen Umgang mit China darlegen. Wie Deutschland mit dem selbstbewussten Regime und Wirtschaftspartner umgeht, ist von enormer Bedeutung auch für den Rest der westlichen Welt. Baerbock löste mit der Strategie und ihrem Auftritt Kritik aus. Das sind die fünf meistdiskutierten Punkte:

Zeitpunkt und Ort der Bekanntgabe: Eine so zentrale Strategie kurz vor der Sommerpause in der Form publik zu machen, sei ein absolutes Unding, monieren beispielsweise Tim Wenniges, Geschäftsführer bei Südwestmetall, dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg, oder Philippe Le Corre, Experte für europäisch-chinesische Beziehungen und Senior Fellow am Asia Society Policy Institute in Paris. Statt das Papier im Beisein des Bundeskanzlers und mehrerer Minister an der Bundespressekonferenz vorzustellen, tat es Baerbock im Alleingang. Und dies beim Merics statt im Bundestag.

Immerhin lässt sich zum Ort feststellen, dass dieser bereits als erstes Zeichen in Richtung China verstanden werden kann. Das Merics unterliegt seit über zwei Jahren chinesischen Sanktionen.

Der Weg ist das Ziel: Man könnte sagen, das inoffizielle Motto der China-Strategie lautete: Der Weg ist das Ziel. Wie schon bei der Nationalen Sicherheitsstrategie wird der Entstehungsprozess teilweise als wichtiger angesehen als das Resultat. Einige Experten sind schon von der Tatsache positiv überrascht, dass überhaupt eine Strategie veröffentlicht wurde.

Während der Entstehung der Strategie haben alle betroffenen Ressorts erstmals miteinander über China diskutiert. Dabei wurden unterschiedliche Interessen festgestellt und thematisiert. In dieser Hinsicht könne man die China-Strategie als Beitrag zum «capacity building» in der Bundesregierung sehen, sagt die Sinologin Marina Rudyak. Sie sieht die deutsche China-Strategie als «ein solides Papier, das einen Prozess widerspiegelt».

Am Schluss des Prozesses steht eine Strategie, die von allen großen Parteien mitgetragen wird. Die CDU/CSU monierte einzig, dass ihre Forderung nach einem nationalen China-Kompetenzzentrum unerfüllt blieb.

Was passiert nun? Die China-Strategie liest sich als Mischung zwischen Absichtserklärungen der Regierung und Handlungsempfehlungen an verschiedene Akteure. Man hat aufgeschrieben, was von «de-risking» bis hin zum Aufbau von China-Kompetenz alles zu tun sei. Die zentrale Frage, wie das umgesetzt und von wem es bezahlt werden soll, bleibt jedoch unbeantwortet. Alleine deswegen sagen mehrere Experten: «Wie viel das Papier wert ist, wird sich noch zeigen.»

Wenniges von Südwestmetall ist zufrieden damit, dass die Strategie pragmatisch ausgefallen ist und dass gegenüber China die Hand zur Kooperation ausgestreckt bleibt, etwa beim Thema Klimaschutz. Die vielen Empfehlungen der Strategie und das fortwährende Betonen unterschiedlicher Werte sieht Wenniges jedoch skeptisch. Er sagt: «Die wertegeleitete Außenpolitik wird auf die Unternehmen abgewälzt. Das finde ich falsch. Das ist eine unpassende Politisierung der Wirtschaft.»

Wie man «de-risking» betreiben könne, werde dieser Tage in vielen Unternehmen diskutiert, sagt Wenniges. Diversifizierung werde jedoch schon seit Jahren betrieben. Zudem dürfe nicht übersehen werden, dass nicht in China zu sein ebenfalls ein Risiko darstelle.

Die Anbindung der deutschen an die EU-Strategie: Deutschlands China-Strategie ist in die europäische eingebettet. Sie übernimmt den Dreiklang «Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale» von der EU. Das nehmen deutsche Experten mit Wohlwollen zur Kenntnis.

Für Rudyak sind deutsche Interessen europäische und andersherum. Eine starke China-Politik könne nur im Kontext der EU funktionieren. Wenn es um Resilienz gegenüber China gehe, könne kein europäisches Land alleine bestehen. Wenniges sieht das ebenso und sagt, Europa habe nur geschlossen eine Chance, sich zwischen den USA und China zu behaupten.

Anders klingt es außerhalb Deutschlands. Der Experte für europäisch-chinesische Beziehungen Le Corre findet Deutschlands Orientierung an der EU-Strategie widersprüchlich. Er sagt: «Deutschland kann gar nicht anders, als weiter eng mit China Handel zu treiben.»

Deutschland ist wirtschaftlich viel abhängiger von China als andere europäische Länder wie etwa Frankreich. Französische Unternehmen würden weniger hoffnungsvoll nach China blicken als deutsche, sagt Le Corre. Und allgemein seien zahlreiche EU-Länder skeptischer gegenüber China eingestellt als Deutschland. Le Corre schätzt, dass etwa die Hälfte der EU-Mitglieder China nicht mehr als potenziellen Partner sehen. So werde die deutsche Haltung kaum Nachahmer finden, während die Uneinigkeit innerhalb der EU ein entschiedenes Auftreten ebendieser erschwere.

Reaktionen aus China: Aus China gab es bisher nur wenige Reaktionen auf die deutsche Strategie. Diese fielen gemäßigt aus.

Die Reaktionen fokussieren auf den Partneraspekt der Strategie, die Aspekte Wettbewerber und Rivale wurden weniger kommentiert. Rudyak sagt, im chinesischen Wording war etwa von «Zusammenarbeit in einer multipolaren Welt» die Rede.

Das meinen wir: Die Bundesregierung verzichtete darauf, ihre China-Strategie öffentlichkeitswirksam mit besserem Timing, geeintem Auftritt sowie etwas mehr Symbolik zu präsentieren. Stattdessen wartete sie bis zur Sommerpause. Wollte die Bundesregierung das Papier sogleich im Sommerloch verschwinden lassen? So oder so unterminierte sie damit ihre eigene Strategie, die für Deutschland eigentlich so wichtig wäre.

Wenn die Sommerpause vorbei ist, wird es darum gehen, die vielen Absichten und Empfehlungen umzusetzen. Dazu muss auch über Geld gesprochen werden. So unangenehm eine solche Debatte in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist, so wichtig ist sie, wenn man Abhängigkeiten mindern und Kompetenzen aufbauen will.

Außenpolitisch muss sich erst noch zeigen, wie nahe sich die deutsche und die EU-Linie tatsächlich sind. Für den Kontinent wäre es wünschenswert, wenn die beiden Linien konvergierten.

Autor: Philipp Wolf · Artikel aus der NZZ

Mit freundlicher Genehmigung der NZZ und auf vertraglicher Grundlage.

Facebook
Twitter
LinkedIn

Unser Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie den Newsletter der Asienbrücke.

Wir nehmen den Schutz Ihrer persönlichen Daten ernst und möchten einen Missbrauch Ihrer E-Mail-Adresse vermeiden. Ihre E-Mail-Adresse wird nur zum Versand des Newsletters verarbeitet. Nach dem Absenden Ihrer Anmeldung erhalten Sie eine automatisch generierte E-Mail, die einen Link zur Bestätigung der Newsletter­bestellung enthält. Erst wenn Sie diese Seite aufrufen, wird die Bestellung wirksam. Sie können Ihre Ein­willi­gung jederzeit zurückziehen und sich wieder vom Newsletter abmelden. Der Widerruf kann insbesondere durch Klick des Abbestelllinks in den zugesandten Nachrichten erfolgen.