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In Thailand spannen Erzfeinde zusammen, um den Wahlsieger von der Macht fernzuhalten

In Thailand spannen Erzfeinde zusammen, um den Wahlsieger von der Macht fernzuhalten

Das Ergebnis der Parlamentswahl war eindeutig: Die Thailänder haben genug von der konservativen Garde. Mehr als drei Monate später hat Thailand dennoch keine neue Regierung. In der Not bilden einstige Erzfeinde eine Koalition.
Chalinee Thirasupa / Reuters

Das Ergebnis der Parlamentswahl war eindeutig: Die Thailänder haben genug von der konservativen Garde. Mehr als drei Monate später hat Thailand dennoch keine neue Regierung. In der Not bilden einstige Erzfeinde eine Koalition.

Warum hat Thailand nach der Wahl im Mai noch immer keine Regierung?

Die progressive Partei Move Forward errang am 14. Mai mit 151 Sitzen zwar die Mehrheit im Parlament. Auf Platz zwei folgte Pheu Thai; die Partei ist mit 141 Abgeordneten im Parlament vertreten. Der Chef von Move Forward, der 42-jährige Unternehmer Pita Limjaroenrat, bildete nach der Wahl eine Koalition aus 8 Parteien, der auch Pheu Thai angehörte, mit 312 Abgeordneten. In einer funktionierenden Demokratie hätte das gereicht, denn in Thailands Abgeordnetenhaus sitzen 500 Parlamentarier.

Thailand ist jedoch keine normale Demokratie. Nach dem Putsch 2014 hat die Militärjunta die Verfassung geändert. Seitdem stimmen neben den 500 Abgeordneten auch 250 Senatoren, die vom Militär ernannt wurden, über den Regierungschef ab. Dahinter steckt ein Kalkül der konservativen Garde, die sich aus dem Königshaus und dem Militär zusammensetzt. Sie will den Status quo wahren. Die Senatoren verweigerten Pita denn auch bei der Wahl im Parlament Mitte Juli die Zustimmung.

Warum ist Move Forward so erfolgreich?

Move Forward gewann bei der Wahl 32 von 33 Direktmandaten in Bangkok. Und selbst im Norden Thailands, wo bisher Pheu Thai dominiert hatte, errang die Partei viele Stimmen. Move Forward ist mehr als eine Bewegung der frustrierten thailändischen Jugend. Sie ist auch unter älteren Thailänderinnen und Thailändern populär, weil sie von der konservativen Elite genug haben.

Move Forward setzt sich vor allem in zwei Punkten von den anderen Parteien ab: Sie will die Macht des Militärs beschränken und Artikel 112 des Strafgesetzbuches reformieren. Demnach wird Kritik am Königshaus mit Gefängnisstrafen von bis zu 15 Jahren gebüsst. Der Wahlerfolg von Move Forward war somit auch ein Misstrauensvotum gegen König Maha Vajiralongkorn, der wegen seines entrückten Lebenswandels unbeliebt ist.

Wie geht es weiter?

Die Koalition, die nach der Wahl gebildet wurde, ist aufgelöst worden. Nun versucht Pheu Thai eine Mehrheit für sich zu gewinnen – mit Erfolg. Die Partei, die einst von dem Telekomunternehmer Thaksin Shinawatra gegründet wurde, hat sich bisher 314 Stimmen im Parlament gesichert. Da selbst Parteien wie United Thai Nation, ein politischer Ableger der Militärjunta, ihre Zustimmung zusichern, wird Pheu Thai wohl auch ausreichend Stimmen von den Senatoren bekommen. Inwiefern United Thai Nation in der Regierung vertreten sein wird, ist noch unklar.

Am kommenden Dienstag werden die Abgeordneten und Senatoren abermals zusammenkommen. Der Kandidat von Pheu Thai, der 61-jährige Immobilienentwickler Srettha Thavisin, dürfte zum 30. Regierungschef Thailands gewählt werden. Die Abgeordneten von Move Forward werden nicht für ihn stimmen.

Was ist von der Koalition unter Führung von Pheu Thai zu erwarten?

Die neue Koalition steht im Widerspruch zum Wählerwillen. Thailand hatte am 14. Mai für den Wandel gestimmt und bekommt stattdessen Stillstand, denn Parteien aus dem konservativen Establishment werden den Kurs Thailands weiter mitbestimmen.

Der neue Regierungschef Srettha wird keinen Spielraum haben, das Land zu reformieren. Königshaus und Militär werden solche Vorhaben unterbinden. Ihnen geht es um die Sicherung ihrer Pfründe.

Wie ist der Pakt der erbitterten Rivalen zu bewerten?

Pheu Thai stand einst für ein demokratisches und gerechteres Thailand. Anhänger der Partei, die mit ihren roten Shirts auf die Strassen zogen und für Demokratie demonstrierten, zahlten einen hohen Preis: Im Mai 2010 starben bei Auseinandersetzungen mit dem Militär und Gelbhemden, den Anhängern der Monarchie, mehr als 90 Menschen; mindestens 2000 wurden verletzt. Damals sollen auch Vertreter der Partei Bhumjaithai an den Exekutionen von Rothemden beteiligt gewesen sein.

Dreizehn Jahre später scheint alles vergessen zu sein. Auch Bhumjaithai wird in der neuen Regierung vertreten sein und Minister stellen. In Bangkok gab es bereits Proteste von Pheu-Thai-Anhängern, die ihre roten Shirts auf den Strassen verbrannten. Sie fühlen sich verraten.

Der Pakt der einstigen Erzfeinde zeigt zweierlei: Zum einen ist Pheu Thai bereit, Ideale zu opfern, um Thaksin aus dem Exil zurückzuholen. Zum anderen sind die Konservativen wegen des Aufstiegs von Move Forward nervös. Thailands neue Farbenlehre lautet: Rot- und Gelbhemden spannen zusammen, um Move Forward, deren Symbolfarbe Orange ist, auszumanövrieren.

Kehrt Thaksin Shinawatra aus seinem Exil in Dubai zurück?

Thaksin hatte seit seiner Flucht aus Thailand vor siebzehn Jahren rund zwanzig Mal seine Rückkehr in die Heimat angekündigt. Nun spricht alles dafür, dass er nach der Wahl von Srettha zum Regierungschef Ernst machen wird. Pheu Thai wird darauf pochen, dass ihr Patriarch zurückkehren darf. In Abwesenheit ist er wegen Steuerhinterziehung und Korruption zwar zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Es dürfte jedoch Teil der Abmachung sein, dass der König Thaksin nach seiner Rückkehr begnadigt.

Autor: Matthias Müller · Artikel aus der NZZ · Bild: Für Sarinrat ist die Koalition von Pheu Thai mit der konservativen Garde ein Verrat an ihren Idealen. Sie kämpft seit 2008 für Pheu Thai und Demokratie. Nun hat sie genug. Auf den Strassen verbrennt sie rote Shirts, auf denen auch das Konterfei von Thaksin Shinawatra ist. (Chalinee Thirasupa / Reuters)

Mit freundlicher Genehmigung der NZZ und auf vertraglicher Grundlage.

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