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Gastbeitrag: “So nah und doch so fern…”

Gastbeitrag: “So nah und doch so fern…”

Angesichts des ungebremsten Hegemonialstrebens der mächtigen benachbarten Volksrepublik China, der Unberechenbarkeit von Putins Russland und Kim Jong-uns Nordkorea hat sich Japan auf den Weg gemacht, seinen politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Einfluss international zu stärken und baut an dem Image eines bedeutenden global players, vor allem im Verbund mit den USA und (keineswegs selbstverständlich aufgrund der historischen Zerwürfnisse) mit Südkorea.
Gastbeitrag: "So nah und doch so fern..."

Der Kulturaustausch zwischen Japan und Deutschland

Angesichts des ungebremsten Hegemonialstrebens der mächtigen benachbarten Volksrepublik China, der Unberechenbarkeit von Putins Russland und Kim Jong-uns Nordkorea hat sich Japan auf den Weg gemacht, seinen politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Einfluss international zu stärken und baut an dem Image eines bedeutenden global players, vor allem im Verbund mit den USA und (keineswegs selbstverständlich aufgrund der historischen Zerwürfnisse) mit Südkorea. Begründet wird dies nicht nur mit dem Bekenntnis zu den demokratischen Werten, sondern auch mit dem Hinweis auf die eigenen Stärken einer Konsenskultur, deren Grundlage sehr spezifische und für den Außenstehenden oftmals nicht zu entschlüsselnde bzw schwer zu erlernende Codes bilden (Stichwort: Lost in Translation), die sich nicht zuletzt in der sehr komplexen Sprachstruktur widerspiegeln. Neben den demokratischen und den traditionellen Werten, werden auf kultureller Ebene hartnäckig die weltweit sehr erfolgreichen popkulturellen Phänomene wie Anime- und Manga als Aushängeschild einer kommerziell erfolgreichen Industrienation vermarktet. Doch neben diesen positiven, teilweise ins Exotische gesteigerten Narrativen, sind es vor allem die sozialgesellschaftlichen Entwicklungen, die Japan für fernere demokratische und auch weniger demokratische Länder zu einem veritablen Partner machen: Überalterung, Digitalisierung, Atomkraft, Klimawandel, Geschlechtergerechtigkeit – alles Problemfelder, die hüben wie drüben von gesellschaftlicher Tragweite sind und somit auf einen fruchtbaren Resonanzboden treffen. Angesichts aktueller Krisenzeiten, in denen langjährige Partnerschaften zur Disposition stehen, können die stabilen Beziehungen zwischen Japan und Deutschland gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Wertepartnerschaft, wie es heute heißt, blickt dabei auf ein bewährtes und tragfähiges kulturelles Netzwerk zurück – man denke etwa an die gut 40 japanisch-deutschen Freundschaftsgesellschaften im Land, an die engen Kontakte zwischen Konzerthäusern, Museen, Akademien, Theatern und anderen Kultureinrichtungen und auch an die drei Einrichtungen des Goethe-Instituts in Japan, von denen die älteste in Tokyo im vergangenen Jahr ihr 60-jähriges Bestehen feiern konnte.

Tokyo International Film Festival

Während man sich in der fernen deutschen Hauptstadt gerade um die Zukunft der Berlinale sorgt, rüstet man in Tokyo im Herbst 2023 zum großen Empfang: Altmeister Wim Wenders wird erstmals als Jurypräsident erwartet, wenn das Internationale Filmfestival in Tokyo, immerhin eines von nur fünf weltweiten s.g. A-Festivals, im Oktober mit seinem neuen Film Perfect Days eröffnet werden wird, dessen Hauptdarsteller Koji Yakusho in Cannes mit der Palme als Bester Hauptdarsteller geehrt wurde. Ein schönes Beispiel der internationalen Kulturbeziehungen, das sich beliebig fortsetzen ließe, wenn es um die gegenseitige kulturelle Wertschätzung geht. In der Musik war es Karlheinz Stockhausen, im Tanz Pina Bausch, in der Literatur Günter Grass, die als die Pioniere des Kulturaustauschs angesehen werden können. In dem kleinen Restaurant Robata Honten in Yurakucho haben sie alle schon vor Jahrzehnten gespeist, und wenn der alte Chef gut drauf ist, dann führt er einen noch bis unters Dach, wo sie alle saßen und Sake tranken und von der einen gemeinsamen Kunstwelt schwärmten.

Die Euphorie der Begegnung, wie sie die Gründerjahre befeuerte, steht heute angesichts von Klimawandel und CO² Fußabdruck unter Legitimationsdrang. Die Reise nach Europa oder in die andere Richtung nach Japan (das schon noch eher), will heute wohl überlegt sein und stellt nicht per se eine persönlichkeitsbildende Bewusstseinserweiterung dar, zumal die Vorbereitung einige Mühen kostet. Eine schon früh mit allen digitalen Kompetenzen ausgestattete Jugend weiß um den Nutzen von Übersetzungsapps, die – das ist natürlich zu kurz gegriffen – den Spracherwerb ersetzen, und die unmittelbare Erfahrung des Fremden kann, wenngleich nicht ersetzt, so doch zumindest am Computer simuliert werden. Informationen aus erster Hand, das eigene Sehen und Erleben stellen keinen Wert mehr an sich dar, sondern werden nach Aufwand und Nutzen abgewogen.

Für den Kulturaustausch auf der Basis so gefestigter Beziehungen wie zwischen Japan und Deutschland stellen sich somit die Herausforderungen an ihre Nachhaltigkeit – nicht zuletzt aufgrund der Ferne – in besonderem Maße. Konzerte und Theatergastspiele werden nicht mehr als Einzelereignisse geplant, sondern in regionale Tourneen eingebunden. Künstlerreisen werden zum Anlass genommen, um Koproduktionen anzuregen und somit die Beziehungen zu festigen, am besten durch längere Aufenthalte im Rahmen von spartenspezifischen Residenzprogrammen. Nachhaltigkeit in der Produktion ist etwa beim „green shooting“ der Filmbranche längst berücksichtigt.

Auch, wenn sich die Bedingungen ändern, für eines stehen die Kunst und der internationale Kulturaustausch: Den unschätzbaren Zugang zu den Erfahrungswelten der Anderen. Wie reagiert Japan wie Deutschland auf die Herausforderungen der Zeit? Dies ist nicht nur Inhalt akademischer Foren und politischer Debatten, sondern ist in den Darbietungen und Interpretationen, in den Visionen der Künstlerinnen und Künstler repräsentiert. Nicht nur in den Neuproduktionen, sondern auch in den Spielplänen und den Wiederaufnahmen von als relevant erkannter Arbeiten, etwa auch in der Malerei oder der Musik. So hat die überaus erfolgreiche Gerhart Richter- Ausstellung im vergangenen Jahr in Tokyo das Tor der Erinnerungswelten weit aufgestoßen und Anlass eines gemeinsamen Nachdenkens über die eigene Geschichte gegeben. Diese lehrt uns, dass die Kunst bei aller Relevanz für den Diskurs davor geschützt werden muss, in die Indienstnahme genommen zu werden. Die Kunst ist frei, sie kann und soll uns verstören, sie wird uns versöhnen durch ihre Weitsicht und die neuen Erkenntnisse, die sie imaginiert, und die sie uns mittels eines literarischen Textes, einer Klangskulptur, eines Tanzabends oder eines Bildes zur Verfügung stellt, um jene Brücken zu bauen, die für ein friedliches Miteinander unerlässlich sind.

Peter Anders leitet das Goethe-Institut Tokyo seit 2016, zuvor in gleicher Funktion in Peking (VR China), Sofia (Bulgarien), Salvador de Bahia (Brasilien) und Jaunde (Kamerun) tätig. Von 2007 bis 2011 als Leiter der Programmarbeit in der Region Subsahara Afrika mit Sitz in Johannesburg (Südafrika). Zuvor in den Jahren 1992 – 1994 Leiter des Ausstellungsreferats in der Zentrale des Goethe-Instituts, München.

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