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Vietnam vertieft seine Beziehungen zu den USA – doch im amerikanischen Lager ist Hanoi deswegen noch lange nicht

Vietnam vertieft seine Beziehungen zu den USA – doch im amerikanischen Lager ist Hanoi deswegen noch lange nicht

Formell sind Vietnams diplomatische Beziehungen zu den USA nun gleichwertig mit jenen zu Russland und China. Doch es gibt entscheidende Unterschiede.
Der amerikanische Präsident Joe Biden schüttelt vor der Büste Ho Chi Minhs die Hand von Vietnams Präsidenten Vo Van Thuong. Evelyn Hockstein / Reuters

Eine «umfassende strategische Partnerschaft» verbindet nun die ehemaligen Feinde USA und Vietnam. Damit nimmt Hanoi Washington in seinem dreistufigen System der Aussenbeziehungen in einen kleinen Kreis auf: Bisher gab es dieses Level nur für China, Russland, Indien und Südkorea.

«Das Upgrade ist mehr als bloss Rhetorik», sagt Dung Xuan Phan, Vietnam-Experte am Yusof Ishak Institute in Singapur. Es bilde die Grundlage für eine vertiefte Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten, etwa bei Handel, Investitionen, Lieferketten und Sicherheit.

Vietnam balanciert zwischen den Grossmächten

Die Annäherung an Vietnam passt zu Bidens Bestrebungen, im Indopazifik ein Netzwerk von Partnerschaften zu knüpfen, um so China entgegenzutreten. So hat er Südkorea und Japan zu einem Dreierbündnis zusammengeführt und die Zusammenarbeit mit den Philippinen, Australien und Indien vertieft.

Hanoi jetzt im amerikanischen Lager zu verorten, wäre allerdings vermessen. Auch wenn Hanoi jetzt gleichwertige Beziehungen zu den drei Grossmächten pflege, seien sie jeweils unterschiedlich ausgestaltet, sagt Dung: «Russland ist die Nummer 1 für Waffenlieferungen, China ist entscheidend an der politischen und ideologischen Front.» Bei Lieferketten und maritimer Sicherheit im Südchinesischen Meer seien hingegen die USA zu einem wichtigen Partner geworden. «Vietnam strebt ein strategisches Gleichgewicht in der Zusammenarbeit mit den drei Mächten an und vermeidet es, sich mit einer davon zu verbünden.»

Der feine Grat, auf dem Vietnam geht, zeigt sich auch in der gemeinsamen Erklärung, welche Biden und der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams, Nguyen Phu Trong, nach ihrem Treffen veröffentlichten. China wird darin nicht erwähnt. Das Südchinesische Meer, wo Hanoi mit Peking im Streit über maritime Zonen und Inseln liegt, wird erst gegen Schluss der Erklärung angesprochen. Und auch das nur in sehr allgemein gehaltenen Formulierungen.

Vietnam ist in einer anderen Situation als die Philippinen

Hier unterscheidet sich Vietnam deutlich von den Philippinen auf der anderen Seite des Südchinesischen Meeres. Diese haben sich in den letzten ein, zwei Jahren eng an die USA angelehnt und gewähren amerikanischen Truppen Zugang zu ihren Militärbasen. Aber die Philippinen haben ein militärisches Beistandsabkommen mit den USA, Vietnam nicht. Auch ist der militärische Druck auf die Philippinen deutlich grösser als auf Vietnam.

Carl Thayer, emeritierter Professor der University of New South Wales und Experte für Vietnams Militär, verweist darauf, dass die vietnamesische Verteidigungspolitik seit 1998 auf den sogenannten «vier Nein» basiere: keine Militärbündnisse, keine Parteinahme für ein Land, um gegen ein anderes vorzugehen, keine ausländischen Militärstützpunkte auf seinem Gebiet und keine Gewaltanwendung in internationalen Beziehungen.

Thayer zeigt sich überrascht, dass bei den Treffen Sicherheitsfragen offenbar wenig Priorität hatten: «Es ist ja eigentlich fast nicht möglich, eine Partnerschaft als ‹umfassend› und ‹strategisch› zu bezeichnen, ohne die Verteidigung mit einzubeziehen.» Vor einem Jahr seien an einer grossen Rüstungsmesse in Vietnam all die grossen amerikanischen Anbieter wie Lockheed Martin, Raytheon und Boeing präsent gewesen. Doch bisher haben sie in Vietnam keine grösseren Aufträge an Land gezogen – der während Bidens Besuch angekündigte Vertrag über 8 Milliarden Dollar für Boeing betrifft fünfzig zivile Flugzeuge.

Vietnam ist von russischen Waffen abhängig

Vietnams militärisches Arsenal baut fast ausschliesslich auf russische Systeme. So hat Hanoi sechs U-Boote der russischen Kilo-Klasse im Dienst und damit die grösste U-Boot-Flotte aller Asean-Länder. Und die vietnamesische Luftwaffe fliegt moderne SU-30-Kampfjets. Ausbildner, Techniker, Munition, Ersatzteile – alles sei auf Russland ausgerichtet, sagt Thayer. Da könne man nicht einfach so umschwenken.

Aus Russland stammt in den vergangenen Jahren der mit Abstand grösste Teil der vietnamesischen Waffenimporte. Auffallend ist, dass Vietnam seit 2019 grosse Anschaffungen aufgeschoben und fast keine Waffen mehr eingeführt hat, weder aus Russland noch anderen Ländern.

Im Januar 2021 kündete die Führung der Kommunistischen Partei dann ein grosses Programm zur Modernisierung der Streitkräfte an – doch kurz darauf überfiel Russland die Ukraine. «Seither fragt man sich wohl: Sind die Pläne für den Kauf russischer Waffen noch relevant, wenn man sieht, wie diese in der Ukraine gegen westliche Systeme bestehen?», erklärt Thayer das Problem.

Die USA drücken bei vietnamesischen Waffenkäufen vorerst ein Auge zu

Dazu kommen Sanktionen gegen russische Unternehmen und Banken, die auch Waffenkäufe erschweren. Just bevor Biden in Hanoi landete, berichtete die «New York Times», dass Vietnam im Geheimen ein neues Rüstungsgeschäft mit Russland vorbereite. Um amerikanische Finanzsanktionen zu umgehen, werde geplant, die Zahlungen über ein russisch-vietnamesisches Joint Venture zur Ölförderung in Sibirien laufen zu lassen.

Von Journalisten auf den Bericht angesprochen, machte Jon Finer, Bidens stellvertretender Berater für nationale Sicherheit, deutlich, dass man deswegen die Beziehungen zu Vietnam nicht belasten wolle. Man rate allen Ländern davon ab, militärische Beziehungen zu Russland zu unterhalten. Aber man müsse anerkennen, dass Vietnam eine jahrzehntelange – auch militärische – Beziehung zu Russland habe. Und: Man werde mit Vietnam daran arbeiten.

Autor: Patrick Zoll · Artikel aus der NZZ · Bild: Der amerikanische Präsident Joe Biden schüttelt vor der Büste Ho Chi Minhs die Hand von Vietnams Präsidenten Vo Van Thuong. (Evelyn Hockstein / Reuters)

Mit freundlicher Genehmigung der NZZ und auf vertraglicher Grundlage.

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