Was ist passiert: China und die amerikanischen Alliierten Japan und Südkorea planen einen diplomatischen Durchbruch. In Südkorea trafen sich am Dienstag die Vizeaussenminister der drei benachbarten Wirtschaftsmächte, um das erste trilaterale Gipfeltreffen seit 2019 vorzubereiten. Sie wollen damit in den wachsenden geopolitischen Spannungen die 2008 gestarteten jährlichen Treffen wiederbeleben, die zu einem Ausbau ihrer wirtschaftlichen Beziehungen beigetragen hatten. Die Neuauflage solle zum «nächstmöglichen Zeitpunkt» stattfinden, vereinbarten der Gastgeber Chung Byung Won, Japans Vertreter Takehiro Funakoshi und Nong Rong aus China. Südkorea drängt allerdings auf ein Treffen bis Ende des Jahres.
Darum ist es wichtig: Japan und Südkorea geben damit ein Beispiel, wie kleinere Staaten im Grossmachtkonflikt zu navigieren versuchen, um zum einen mit den USA und China im Gespräch zu bleiben und zum anderen eine wirtschaftliche Entkopplung zu vermeiden. Das Vorgehen der beiden Länder ist besonders lehrreich für europäische Staaten, die derzeit nach einer China-Politik suchen. Denn Japan und Südkorea scheuen sich nicht, Konfrontation und Kooperation zu mischen, obwohl ihre wirtschaftlichen Verflechtungen und sicherheitspolitischen Konflikte mit China sehr stark ausgeprägt sind.
China ist sowohl für Japan wie auch für Südkorea der wichtigste Handelspartner. Im Jahr 2022 rangierte Japans Aussenhandel mit China mit einem Anteil von 20 Prozent der Importe und Exporte weit vor den USA. Südkorea wickelte sogar 35 Prozent seiner Ein- und Ausfuhren mit dem Reich der Mitte ab.
Gleichzeitig wächst das Krisenpotenzial in der Region. Das atomar bewaffnete Nordkorea hat gerade durch eine engere Allianz mit Russland sein Bedrohungspotenzial gestärkt. Chinas Regierung wiederum erhöht mit ihrer Invasionsdrohung gegen Taiwan die Kriegsangst in der Region.
Gleichzeitig ist China gegen keine anderen Länder so massiv vorgegangen wie gegen Japan und Südkorea. Japan wurde 2010 als erstes Land für politisch missliebiges Verhalten von Chinas kommunistischer Führung wirtschaftlich bestraft. Der jüngste Schlag folgte, als Japan mit der Einleitung von mit Tritium belastetem Kühlwasser aus den Atomruinen von Fukushima in den Pazifik begann. Daraufhin stoppte China den Fischimport von seinem Nachbarn, der sich auf immerhin 800 Millionen Dollar pro Jahr belief. Dabei dürfen chinesische Fischer, die in den gleichen Regionen wie ihre japanischen Kollegen fischen, ihren Fang weiterhin problemlos daheim anlanden.
Südkorea geriet 2016 in Pekings Bannstrahl, nachdem das Land als Schutz gegen Nordkoreas atomare Bedrohung das amerikanische Raketenabwehrsystem Thaad stationiert hatte. Das Verbot von Gruppentourismus war schon ein schwerer Schlag. Doch Boykotte zwangen sogar Südkoreas Einzelhandelsriesen Lotte, der Land für die Raketensysteme zur Verfügung gestellt hatte, sein grosses China-Geschäft aufzugeben.
So gehen Japan und Südkorea vor: Nach dem Schock von 2010 begann Japan als erstes Land, eine China-Strategie zu entwickeln, die inzwischen weltweit zum Trend wird: eine Mischung aus militärischer Abschreckung durch Aufrüstung, Aufbau multilateraler sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Gegenmacht, Verkleinerung der Abhängigkeit von China und Gesprächs- wie Kooperationsbereitschaft, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet.
Dabei werde Fumio Kishida «eine realistische Diplomatie» verfolgen, meint Hiroyuki Suzuki, Gastwissenschafter am Japan-Lehrstuhl des Center for Strategic and International Studies in Washington. Die Strategie werde «dazu beitragen, eine ausgewogene Beziehung zwischen den USA und China aufzubauen, die auch in Zukunft eine Zusammenarbeit beinhaltet». Suzuki erwartet sogar, dass Japan in das geopolitische Vakuum stossen wird, das durch die wachsende Gesprächsblockade der Grossmächte entstanden ist.
Ein Pfeiler der Strategie ist das Konzept vom «freien und offenen Indo-Pazifik», das der ermordete ehemalige Regierungschef Shinzo Abe nach seinem Amtsantritt im Jahr 2012 global hoffähig gemacht hat. Japan stärkte seine ohnehin schon rege Asien-Diplomatie, um für die Länder der Region eine wirtschaftliche Alternative zu China und gleichzeitig multilaterale Sicherheitsallianzen gegen Chinas Expansion aufzubauen.
Dazu gehören Handelsabkommen wie die grosse Teile Asiens umfassende Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), die erstmals China, Japan und Südkorea in einer Freihandelszone vereint. Sicherheitspolitisch gibt es die Quad-Gruppe, einen lockeren Bund zwischen den USA, Australien, Japan und Chinas Rivalen Indien, Truppenaustauschabkommen mit Australien und Grossbritannien, die Teilnahme an Nato-Gipfeln und eine engere Zusammenarbeit mit Südkorea.
Südkorea folgt inzwischen im Grossen und Ganzen diesem Konzept, wenn auch mit zwei Besonderheiten. Erstens schlug sich Südkorea weniger deutlich auf die Seite der USA als Japan. Denn das Land ist nicht nur wirtschaftlich stärker abhängig von China, sondern ist auch im Konflikt mit Nordkorea darauf angewiesen, dass Peking seinen atomar aufrüstenden Schützling bremst.
Dabei gibt es allerdings unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zwischen links und rechts. Südkoreas linke Opposition taktiert vorsichtiger und ist gegen eine Annäherung an Japan. Der rechte Präsident Yoon stellt sich deutlicher auf die Seite der USA und hat sein Land gerade in eine trilaterale Zusammenarbeit mit Japan gedrängt, die die machtpolitische Balance in Ostasien verschieben kann, wie der amerikanische Aussenminister Antony Blinken erst am Montag verdeutlichte.
«Wir alle neigen dazu, mit dem Wort ‹historisch› ein wenig leichtfertig umzugehen», sagte er in einer Rede beim Think-Tank Center for Strategic and International Studies über das jüngste Gipfeltreffen der USA mit ihren beiden ostasiatischen Alliierten, «aber ich denke, dieses Ereignis entspricht wirklich der Definition.» Es markiere tatsächlich den Beginn «einer neuen Ära der trilateralen Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern».
Das meinen wir: Mit dieser Gegenmacht im Rücken wollen Südkorea und Japan nun mit China durch Gespräche sowohl das Kriegsrisiko senken, Einfluss auf Nordkorea und Russland ausüben und die wirtschaftlichen Beziehungen am Laufen halten. China hat ebenfalls ein Interesse an einer engeren Zusammenarbeit. Denn Peking kann hoffen, dass die wirtschaftliche Bindung die Nachbarn veranlasst, mässigend auf die USA einzuwirken.
Allerdings sollte niemand grosse politische Veränderungen und bahnbrechende Beschlüsse des Gipfels erwarten. Das ändert jedoch nichts am Wert eines Treffens der Nachbarn. Angesichts der bisherigen Funkstille wäre eine Wiederbelebung regelmässiger Treffen schon ein wichtiger Beitrag, die Lage zu beruhigen und das Risiko zu senken, dass Konflikte aus Versehen zu Kriegen eskalieren.
Autor: Martin Kölling · Artikel aus der NZZ · Bild: Hand in Hand: China, Südkorea und Japan wollen zum ersten Mal seit vier Jahren ein trilaterales Gipfeltreffen abhalten. (Soo-Hyeon Kim / Reuters)
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