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Gastbeitrag: “Ein Wahlsieg mit vielen Fragezeichen”

Gastbeitrag: “Ein Wahlsieg mit vielen Fragezeichen”

In Thailand hat die junge Opposition viele Menschen überzeugt. Ob aber die neue Koalition das Königreich wirklich führen wird, ist mehr als unsicher. Gastbeitrag von Dr. Christoph Hein.
Gastbeitrag: "Ein Wahlsieg mit vielen Fragezeichen" von Dr. Christoph Hein

In Thailand hat die junge Opposition viele Menschen überzeugt. Ob aber die neue Koalition das Königreich wirklich führen wird, ist mehr als unsicher.

Gastbeitrag von Dr. Christoph Hein.

Orange. Das ist die Farbe der Wahl Thailands. Wer sich im Farbenspiel des Königreichs auskennt, bemerkt das Mischungsverhältnis: Gelb ist die Farbe des Königshauses und der Reaktionäre, Rot diejenige der Anhänger des 2006 von den Militärs abgesetzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Über Jahre haben beide Seiten miteinander gerungen, sich nichts gegönnt. Die „orange Welle“, die die Opposition von Move Forward zur stärksten Partei mit 36,2 Prozent der Wählerstimmen getragen hat, steht für einen dritten Weg: Das Eintreten für ein neues Thailand, weniger korrupt, weniger obrigkeitshörig, sozialer, freier.

Die Wahl mit ihrer hohen Beteiligung hat den Wunsch der Menschen nach einem Neuanfang für ihr Land gespiegelt. Klar ist nach der Abstimmung: Das Militär hat aus Sicht der Mehrheit der Menschen abgedankt. Nach seinen Coups 2006 (bei dem der gewählte Milliardär Thaksin Shinawatra sein Amt als Ministerpräsident verlor) und 2014 (nachdem Thaksins Schwester Yingluck ihr Amt als Ministerpräsidentin verloren hatte) durch den später als Ministerpräsident ins Zivilleben gewechselten General Prayut Chan-ocha und seiner Junta National Council for Peace and Order haben die Militärs ihre Glaubwürdigkeit verloren. Dass sie auf den Straßen für Ruhe und Ordnung sorgten und das Land vergleichsweise gut durch die Pandemie steuerten nutzte ihnen nichts mehr. Wer jedoch erwartete, dass die Thaksin-Familie deshalb in einem fortgesetzten Wechselspiel nun zurück an die Macht käme, täuschte sich. Auch Paetongtarn Shinawatra, Thaksins Tochter, konnte der Pheu Thai Partei den Sieg nicht sichern. Die Mehrheit des Wahlvolks hatte genug von den alten, selbsternannten Eliten.

Move Forward unter dem charismatischen Pita Limjaroenrat steht für frischen Wind. Der Unternehmersohn ist in Neuseeland groß geworden, in Amerika ausgebildet, seinem Heimatland aber verbunden. Dort führte er zeitweise die „Super-App“ des Kurierdienstes Grab. Am Tag nach dem Wahlsieg drängten sich die Menschen in dem Hochhaus am Stadtrand, in dem Move Forward ihren Sitz bezogen hat – sie alle wollten Andenken kaufen. Die Mitarbeiterarbeiter hatten eine in Thailand in dieser Größenordnung unbekannte Kampagne über die sozialen Medien gefahren. Sie erinnerte – wenn auch in viel kleinerem Maßstab – an das digitale Feuerwerk, mit dem die indische BJP von Ministerpräsident Narendra Modi den Subkontinent überzieht. Ein zweiter wichtiger Vorteil von Move Forward spielt sich nur im Hintergrund ab: Pita hat die Unterstützung der Botschaften der Demokratien, insbesondere Europas und Amerikas. Brüssel will die zweitgrößte Volkswirtschaft Südostasiens nach Singapur und Vietnam dringend für ein Freihandelsabkommen gewinnen – mit den verkrusteten Militärs geht das schlecht. Aber ist Pita deshalb ein „Agent der USA“, wie es ihm vom rechten Rand vorgehalten wurde? Wohl nicht. Aber er ist weltoffen und demokratisch orientiert. Und er profitierte davon, dass auch immer mehr Thais zumindest hinter vorgehaltener Hand das Auftreten ihres Königs gerade im Ausland und die drakonischen Gesetze, mit denen jede Kritik an ihm unterbunden wird, kritisieren. „Dieser Korken geht nicht mehr zurück in den Flaschenhals“, sagten westliche Diplomaten am Wahlabend mit Blick auf die anhaltenden Proteste voraus. Sie behielten recht. Zumindest vorläufig.

Denn ob der 42jährige Pita allerdings wirklich Ministerpräsident werden wird, steht in den Sternen. Zum einen muss seine gerade geschmiedete Koalition aus acht Parteien tragfähig bleiben. Das aber ist angesichts der üblichen Abwerbe- und Übertrittsversuche in Bangkok ganz und gar nicht gewährleistet. Zum anderen hat das Militär Vorsorge getroffen: Denn der von ihm handverlesenen Senat steht für weitere 250 Stimmen. Der Senat ist überwiegend männlich, seine Mitglieder kommen in der Regel aus dem Militär einschließlich seiner führenden Offiziere, der Verwaltung oder Staatskonzernen. Schwer zu glauben, dass sich viele von ihnen mit den „orangen“ Zielen identifizieren – eher dürfte sie unter der Koalition ihre Felle schwimmen sehen. Mehrere Senatoren haben sich schon vor der Wahl gegen Move Forward positioniert und dabei vor allem deren Plan angegriffen, das drakonische Lese Majeste Gesetz aufzuweichen oder abzuschaffen. Pitas Acht kommen im 500 Sitze zählenden Unterhaus rechnerisch auf 313 Sitze. Zum Vergleich: Die beiden direkt mit der Armee verbundenen Parteien kamen nur auf insgesamt 76 Sitze. Doch wollen „die Orangen“ regieren, brauchen mindestens 376 Stimmen – die Lücke müssten Senatoren füllen.

Auch ist nicht völlig auszuschließen, dass konservative Kräfte, die nun um ihre Pfründe bangen, sich nicht auf „ihren“ Senat verlassen, sondern rechtliche Schritte oder Schlimmeres gegen Pita einleiten werden. 18mal hat das Militär seit 1932 die Verfassung in Thailand zu seinen Gunsten ändern lassen. Der indonesische Kommentator Kornelius Purba warnt: „Angesichts seiner fast ein Jahrhundert währenden Kontrolle der heimischen Politik ist es sehr unwahrscheinlich, dass Thailands Militär seine Macht nun einfach auf die Opposition überträgt.“ Die Entwicklung der Börsenkurse in Bangkok gab schon einen Hinweis; sie sanken nach der Wahl, weil Investoren Ungemach schwante. Pita ist stark und gut verwurzelt – aber auch die Milliardärs-Familie Thaksin war von den reaktionären Kräften Bangkoks nicht verschont geblieben. Und schließlich müssen die Thais am Ende das hinnehmen, was sie bekommen: Die Politik, die Pita wird durchsetzen können, dürfte keinesfalls so radikal im Wortsinn sein, wie es sich mancher bei der Abgabe seiner Stimme erhoffte. Zudem müsste er Antworten auf drängende Probleme jenseits der direkten politischen Auseinandersetzung finden: Nachdem das Königreich bis etwa 2003 noch als aufstrebender kleiner Tiger galt, sieht es sich nach zwei wirtschaftlich verlorenen Jahrzehnten heute in der „middle-income-trap“ gefangen, leidet unter einer der niedrigsten Geburtenrate Südostasiens, wird von einem schwachen Bildungssystem gedrückt und leidet an Überalterung. Pita würde Konzessionen, Einschnitte machen müssen, er würd Wähler enttäuschen. Die Erwartungen an ihn aber sind hoch.

Helfen wird dem Abgänger der Harvard Kennedy School und des Massachusetts Institute of Technology zunächst ein momentaner Wirtschaftsaufschwung. Mit dem Abklingen von Corona kehren die Touristen zurück. Inflation und Verschuldung bleiben hoch, aber das Königreich wächst wieder um 2,7 Prozent, die offizielle Arbeitslosenrate pendelt mit nur noch 1,05 Prozent auf dem tiefsten Stand seit Jahren. Eigentlich könnten die Generäle solche Fortschritte für sich reklamieren; diese Chance aber haben sie nicht mehr, wenn sie den Wahlausgang akzeptieren. Vieles spricht dafür – und zeugte vom Erwachsenwerden Thailands. Denn das Militär hat mehrfach versichert, auf den Zwölften Coup 2014 nun keinen weiteren mehr folgen zu lassen. Ob die Soldaten sich unter Druck daran halten werden, bleibt abzuwarten.

Klar aber ist schon, dass die Nachbarländer den frischen Wind in Thailand zu spüren bekommen. Purba spricht von „Schockwellen für die Region“. Die Militärdiktatur Myanmar (Burma) betrachtete das benachbarte Königreich als Verbündeten. Viele Unternehmen, die Myanmar verließen, werden von hier oder aus – dem teureren Singapur – gesteuert, die Oppositionsbewegung und die Flüchtlinge haben sich in Thailand angesiedelt. Die Öffnung des Landes wird, hat sie Bestand, auf Myanmar abstrahlen. Dasselbe gilt für die kommunistischen Autokratien Vietnam, Kambodscha und Laos. Auch dort wird unter Hochspannung verfolgt, ob es die reaktionären Kräfte schaffen, die Tür, die die Wähler aufgestoßen haben, noch einmal zuzudrücken.

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