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Energiewende und Geopolitik: Die Mongolei hat die Rohstoffe, die die Welt braucht

Energiewende und Geopolitik: Die Mongolei hat die Rohstoffe, die die Welt braucht

Die rohstoffreiche Mongolei wird als gewichtiger Partner in Nordostasien wiederentdeckt. Der Schatz unter der Erde hat dem Land aber bisher keinen allgemeinen Wohlstand gebracht.
Rentsendorj Bazarsukh / Reuters

Die rohstoffreiche Mongolei wird als gewichtiger Partner in Nordostasien wiederentdeckt. Der Schatz unter der Erde hat dem Land aber bisher keinen allgemeinen Wohlstand gebracht.

Am Regierungssitz in Ulaanbaatar geben sich prominente westliche Schatzsucher in jüngster Zeit beinahe die Klinke in die Hand. Ende Mai machte Emmanuel Macron auf dem Rückweg vom G-7-Gipfel in Japan als erster französischer Präsident in der mongolischen Hauptstadt halt, um den Kernkraftwerken Frankreichs als Alternative zu Russland den Zugriff auf mongolisches Uran zu sichern.

Zwei Wochen später war es Elon Musk, der bei einer Videokonferenz mit Ministerpräsident Oyun-Erdene mit Blick auf die reichen Vorkommen von Kupfer und seltenen Erden für Tesla den Bau einer Batteriefabrik in der Mongolei ins Spiel brachte. Und zeitgleich wurden in der Hauptstadt die deutsch-mongolischen Regierungsverhandlungen aufgenommen, um die bislang blutarm gebliebene bilaterale Rohstoffpartnerschaft mit Leben zu füllen.

Starke Abhängigkeit

Das neuerliche Klinkenputzen bei den Erben Dschingis Khans weckt Erinnerungen an die Zeit vor rund fünfzehn Jahren, als der mongolische Rohstoffreichtum dem Land den Taufnamen «Minegolia» eingetragen hat. Im Jahr 2009 hatte sich die britisch-australische Rio-Tinto-Gruppe als Hauptanteilseigner mit der mongolischen Regierung auf das nach wie vor grösste Gemeinschaftsunternehmen des Landes geeinigt. Dieses beutet das riesige Kupfer- und Goldvorkommen Oyu Tolgoi in der südlichen Gobi-Wüste aus.

Wie schnell sich das europäische Interesse wieder verflüchtigt hat, zeigt das Beispiel Deutschlands, das nach der friedlichen mongolischen Wende von 1991 hin zu Demokratie und Marktwirtschaft eine besonders enge Beziehung zu dem einstigen sowjetischen Satellitenstaat aufgebaut hat. Von den grossen Plänen der Rohstoffpartnerschaft, zu deren Abschluss Kanzlerin Angela Merkel 2011 nach Ulaanbaatar reiste, kam als nennenswertes Projekt nur die Deutsch-Mongolische Hochschule für Rohstoffe und Technologie (GMIT) zur Ausbildung von Fachingenieuren zustande.

Das Tempo, mit dem sich der Bergbau zu dem mit Abstand wichtigsten Eckpfeiler der mongolischen Wirtschaft entwickelte, hat das nicht gebremst. Nach einem Anteil von nur 10 Prozent im Jahr 2000 wurde 2022 rund ein Viertel des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Rohstoffsektor erwirtschaftet. Ebenso stammen rund 25 Prozent der Staatseinnahmen aus dem Bergbau, in den rund 40 Prozent der gesamten Investitionen, einschliesslich der ausländischen Direktinvestitionen, fliessen.

Die Schlagseite in der Wirtschaftsstruktur findet aussenwirtschaftlich in doppelter Hinsicht ihre nicht weniger riskante Entsprechung: einmal in der hohen Anfälligkeit für Preisschwankungen an den internationalen Rohstoffmärkten und ausserdem in der nahezu exklusiven Abhängigkeit von einem Hauptabnehmer. Mit einem Anteil von fast 85 Prozent an den mongolischen Ausfuhren werden beinahe die gesamten für den Export bestimmten Rohstoffe, insbesondere Eisenerz, Kohle und Kupfer, nach China geliefert.

Von den mehr als hundert Abgängern des 2013 an den Start gegangenen GMIT hatten offenbar alle schon vor ihrem Abschluss einen Job. Der gefragteste Arbeitgeber ist das Gemeinschaftsunternehmen Oyu Tolgoi mit seinen insgesamt 20 000 Beschäftigten. Da liegt das Einstiegsgehalt von umgerechnet 1200 Franken für Ingenieure um das Dreifache über dem durchschnittlichen Monatslohn.

Nachdem im Frühjahr nach mehrjährigen Turbulenzen als zweite Stufe schliesslich der Kupferabbau unter Tage mit einer angepeilten jährlichen Gesamtfördermenge von bis zu drei Millionen Tonnen Kupferkonzentrat begonnen hat, treibt das den Bedarf an Arbeitskräften weiter in die Höhe. Zusammen mit den derzeit etwa 50 000 indirekt geschaffenen Arbeitsplätzen ist das für das Land, das zwar fast dreimal so gross wie Frankreich ist, aber nur gerade 3,4 Millionen Bewohner zählt, ein bedeutender Faktor.

Covid und Skandale

Die Hundertschaften von durchweg jungen Mongolinnen und Mongolen, die im Dezember vergangenen Jahres bei zweistelligen Minustemperaturen den Regierungssitz in Ulaanbaatar zwei Wochen lang belagerten, hatten eine weniger wohlwollende Sicht auf den Rohstoffreichtum. Auslöser für die Proteste, die so massiv wie noch selten waren, war der von Whistleblowern aufgedeckte und von der Regierung dann überraschend schnell publik gemachte «Kohle-Mafia»-Skandal.

Beim Abgleich der von der Zollstatistik erfassten Kohleexporte mit den tatsächlich aus den Mammutvorkommen in der südlichen Gobi nach China gelieferten Mengen hatte sich herausgestellt, dass über Jahre hinweg zusätzliche Millionen Tonnen Kohle im Wert von mehreren Milliarden Dollar in Komplizenschaft mit dem Staatskonzern Erdenes Tavan Tolgoi an den Büchern vorbei den Weg ins Nachbarland gefunden hatten.

Die Liste der an den kriminellen Machenschaften mutmasslich Beteiligten, gegen die nun ermittelt wird, liest sich wie ein Who is Who der politischen Elite, vom ehemaligen Parlamentsvorsitzenden Enkhbold bis hin zu dem noch im Dezember eilends nach Südkorea entschwundenen Ex-Staatspräsidenten Battulga.

Der Frust und die Wut, die sich entladen haben, hatten sich schon lange vorher aufgestaut – als Folge der existenziellen Not, in die die Corona-Pandemie einen grossen Teil der Gesellschaft gestürzt hat. Immer drängender wurde die Frage gestellt, warum die aus dem Bergbau geschöpften Gewinne nur tröpfchenweise beim Gros der Bevölkerung ankämen.

Wie wenig nachhaltig die sprudelnde Geldquelle von den jeweiligen Regierungen genutzt wurde, um die Wirtschaft des Landes für die Zukunft breiter aufzustellen und die Voraussetzungen für wachsenden Wohlstand zu schaffen, geht aus den von der Weltbank ermittelten Zahlen hervor. Danach wurden von jedem aus der Rohstoffwirtschaft eingenommenen Dollar über den Zeitraum von 20 Jahren 99 Cent konsumiert und nur 1 Cent für Zukunftsinvestitionen gespart.

Unter die Konsumausgaben fallen auch die rund 30 Prozent, die in die soziale Alimentierung geflossen sind. Das sind die oberflächlich grosszügig erscheinenden Transferleistungen, die insbesondere vor Wahlen eher der politischen Beschwichtigung dienten, aber kaum nachhaltige Wirkung erzielten. Seit 2017 ist jedoch eine Umkehr zu beobachten, die sich in den erhöhten Einzahlungen in den fiskalischen Stabilisierungsfonds und in den Ende 2022 aus der Taufe gehobenen neuen Staatsfonds bemerkbar macht.

Rückkehr der Geopolitik

Die Wiederentdeckung der Mongolei als gewichtiger Partner in Nordostasien hat zwei Beweggründe. Geopolitisch ist es die auch in der EU mit wachsender Sorge begleitete Beobachtung, wie der demokratische Solitär in der Region von den autokratisch regierten Nachbarn China und Russland erdrückt zu werden droht.

Zu der Dreieckskooperation im Rahmen des 2016 gemeinsam vereinbarten China-Mongolia-Russia Economic Corridor (CMREC), der dem Binnenland den Zugang zu chinesischen Seehäfen und auf der modernisierten Schienenverbindung den Weg nach Europa öffnet, gibt es keine Alternative. Aber die hochgradige wirtschaftliche Abhängigkeit hat für die Mongolei, die sich zum Schutz ihrer Unabhängigkeit mit der Partnerschaftspolitik der «dritten Nachbarn» in alle Himmelsrichtungen zu verankern versucht, einen politischen Preis.

Das jüngste Beispiel ist der massive Druck, den der Energielieferant Russland nach dem Überfall auf die Ukraine auf Regierung und Öffentlichkeit ausübt. Im Zeichen des globalen Kräftemessens haben es Peking und Moskau nun im Tandem darauf abgesehen, der aussenpolitischen Optionsfreiheit der Mongolei die Luft abzuschnüren.

Der zweite Beweggrund für das wiedererwachte westliche Interesse an der Mongolei ist die weltweite Jagd nach Rohstoffen, die für die Energiewende notwendig sind, mitsamt der angestrebten Diversifizierung der Bezugsquellen jenseits von China.

Überrissene Hoffnungen

Mit der Schätzung des Werts der mongolischen Rohstoffbestände auf 3 Billionen Dollar hat der Internationale Währungsfonds (IMF) eine gigantische Zahl ins Spiel gebracht. Der für Rohstoffe zuständige Vizepräsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, Volker Steinbach, hält solche Zahlen für schlichtweg irreführend, weil sie die Kriterien, von denen die Nutzbarkeit der Rohstoffvorkommen abhängt, unberücksichtigt lassen.

Entscheidende Faktoren für die realistische Einschätzung des Potenzials, so Steinbach, sind die geologischen und ökologischen Gegebenheiten der Lagerstätten, die Wirtschaftlichkeit der Erschliessung, auch im Blick auf die vorhandene Infrastruktur, und die beim Export anfallenden Transportkosten, bis hin zu den im jeweiligen Land gegebenen Rahmenbedingungen für Investoren. Das sind zum Teil Kriterien, bei denen die Mongolei gegenwärtig ein ausgesprochen schwieriges Umfeld bietet.

Am besten erforscht sind die Vorkommen von Eisenerz, Kupfer, Gold und Kohle. In grösserem Umfang gefördert werden ausserdem die beachtlichen Vorräte an Uran, Molybdän und Wolfram ebenso wie das in industriellen Verarbeitungsprozessen eingesetzte Mineral Flussspat, bei dem die Mongolei über die weltweit drittgrössten Reserven verfügt.

Die Erschliessung der Vorkommen des Batterierohstoffs Lithium und von seltenen Erden, in die nach kanadischen Unternehmen nun auch Südkorea in grossem Massstab einsteigen will, steckt dagegen erst in den Anfängen und ist noch nicht über Pilotprojekte hinausgekommen.

Die von der enormen Nachfrage in die Höhe getriebenen Erwartungen werden in einer gerade aktualisierten Studie der BGR zu den mongolischen Vorräten an seltenen Erden allerdings gedämpft. Darin werden rund achtzig Lagerstätten aufgeführt, von denen sechs näher untersucht wurden. Das Ergebnis: Alle diese Vorkommen befinden sich weit abgelegen im Landesinneren, was für die Erschliessung gewaltige Investitionen in die Infrastruktur erfordern würde.

Die EU streckt ihre Fühler aus

Für die EU wäre der Einstieg nur dann eine wirtschaftlich sinnvolle Option, so der Bericht, wenn die gewonnenen Rohstoffe auch vor Ort weiterverarbeitet werden könnten und nicht erst Tausende Kilometer über China oder Russland transportiert werden müssten.

Beim Antrittsbesuch von Ministerpräsident Oyun-Erdene vergangenen Herbst in Berlin versicherte Bundeskanzler Olaf Scholz dem Gast, dass die Mongolei bei der deutschen Diversifizierungsstrategie bei kritischen Rohstoffen «ein wichtiger Partner» sein werde. Die ehrgeizig ins Auge gefasste Kooperations-Agenda reicht von der Unterstützung beim Aufbau der Rohstoffverarbeitung bis zur verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien.

Entsprechend hoch sind die mongolischen Erwartungen, die sich nicht nur an Deutschland, sondern an die EU insgesamt richten. Welchen Stellenwert die Regierung in Ulaanbaatar der intensiven Zusammenarbeit mit den Europäern beimisst, verdeutlicht auch die Besetzung des Botschafterpostens in Brüssel mit dem Topdiplomaten Luvsanvandan Bold, der sich als Verteidigungs- und später als Aussenminister besonders für Beziehungen mit der EU engagiert hat.

Das jüngste bilaterale Abkommen ist die Aufnahme der Mongolei in das dem Klima- und Naturschutz dienende Waldpartnerschafts-Programm der EU. Ob und wann die Mongolei auch von der 2018 als Konkurrenzprojekt zur chinesischen Seidenstrassen-Initiative beschlossenen EU-Asien-Konnektivitätsstrategie profitiert, ist dagegen noch nicht abzusehen.

Autor: Jürgen Kahl · Artikel aus der NZZ · Bild: Der mongolische Ministerpräsident Oyun-Erdene hält eine Rede anlässlich des Beginns des Untertagabbaus in der riesigen Kupfermine Oyu Tolgoi (Rentsendorj Bazarsukh / Reuters)

Mit freundlicher Genehmigung der NZZ und auf vertraglicher Grundlage.

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