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Wie Asiens älteste Autonation den Anschluss bei Elektroautos wiedergewinnen will

Wie Asiens älteste Autonation den Anschluss bei Elektroautos wiedergewinnen will

Toyota, Honda, Nissan und Co. haben den Schwung von Elektroautos unterschätzt. Aber sie haben das Zeug, wieder aufzuholen.

Toyota, Honda, Nissan und Co. haben den Schwung von Elektroautos unterschätzt. Aber sie haben das Zeug, wieder aufzuholen.

Das ist passiert: Toyota, Honda, Nissan und Co. haben im ersten Quartal des Jahres einen Weckruf erhalten. Erstmals hat China mehr Pkw exportiert als der bisher grösste Autoexporteur Japan. Die chinesischen Autobauer steigerten ihre Ausfuhren binnen Jahresfrist um 58 Prozent auf 1,07 Millionen Autos. Nippons Hersteller legten dagegen nur um 6 Prozent auf 954 185 Autos zu. Der Grund für den Erfolg Chinas gibt nun besonders zu denken: Ein Grossteil des Zuwachses ist auf Elektroautos zurückzuführen, die im Reich der Mitte bereits einen Massenmarkt darstellen, in Japan aber noch nicht. In China haben reine Elektroautos bereits einen Marktanteil von fast 30 Prozent, in Japan sind es weniger als 2 Prozent.

Darum ist es wichtig: Die Zahlen deuten auf eine automobile Zeitenwende hin: Ausgerechnet die grosse Autonation, deren Hersteller mehr Autos als deutsche Marken produzieren und die mit Hybridantrieben die Elektrifizierung des Autos vorangetrieben haben, ist in der ersten Phase des Elektroauto-Rennens weit abgeschlagen. Für Japan wäre es fatal, wenn die Autohersteller den Rückstand nicht aufholen könnten. Immerhin hängen rund 5,5 Millionen Arbeitsplätze an der Autoindustrie.

Die Herausforderung ist allerdings enorm. Selbst der Renault-Partner Nissan, der 2010 mit dem Leaf als erster Hersteller ein batterieelektrisches Massenauto auf den Markt brachte, ist nicht mit einer breiten Palette global vertreten. Er hat im Heimatmarkt gerade einmal drei reine Stromer auf dem Markt: den Leaf, den SUV Ariya und den nur in Japan erhältlichen Kleinstwagen Sakura, der inklusive Förderung schon für 12 000 Euro zu haben ist. Beim Weltmarktführer Toyota sieht es bei den Händlern noch kärger aus: Nur der SUV bZ4X verspricht rein elektrische Fortbewegung.

Dieses karge Angebot droht sich nicht nur in China, sondern möglicherweise auch in anderen wichtigen Märkten zu rächen. Der japanische Autoanalyst Koji Endo, Chef der Analyseabteilung von SBI Securities, fürchtet nach dem Besuch einer Motorshow in Thailand sogar um die Vormachtstellung der Japaner in Südostasien, einem Markt, den sie bisher fast vollständig beherrschten.

«Nachdem ich die Autoshow gesehen habe, denke ich, dass sich das in den nächsten fünf Jahren schnell ändern könnte», sagt Endo. «Ich war schockiert, dass BYD aus China den grössten Stand hatte.» Bei seinem letzten Besuch vor der Corona-Pandemie hätten noch Toyota und die anderen Japaner die Automesse in Bangkok dominiert. Und jetzt bauen mehrere chinesische Hersteller in Thailand bereits Fabriken für batterieelektrische Autos, von wo aus sie ganz Südostasien beliefern können. Davon sind die Japaner noch weit entfernt.

Der Grund für den Rückstand: Die japanische Industrie hat andere Prioritäten gesetzt und die Dynamik der Elektroauto-Offensive unterschätzt. Bis heute heisst es bei den Herstellern, das Elektroauto sei nur ein Mittel, um das eigentliche Ziel zu erreichen: die Treibhausgasemissionen im Verkehr, in der Produktion und der Verschrottung von Autos auf null zu senken.

So sind Elektroautos, die in der Produktion deutlich mehr Kohlendioxid ausstossen als Verbrenner, nur so sauber wie die Stromproduktion eines Landes. In Ländern mit viel Kohle- und Gasverstromung halten die Japaner deshalb Hybridautos für die bessere Lösung: Sie kombinieren Verbrennungs- und Elektromotor, um durch die Rückgewinnung von Bremsenergie den Benzinverbrauch zu senken.

Als Alternative zum Diesel sind Hybride für die Japaner inzwischen auch in Europa ein Verkaufsargument. Toyota feierte im vergangenen Jahr den höchsten Absatz aller Zeiten und ist der einzige Hersteller, der noch mehr als 10 Millionen Autos pro Jahr verkauft. Nur bei den Elektroautos tauchen die neun japanischen Marken – mit Ausnahme von Nissan – in den globalen Verkaufsranglisten kaum auf. Die Frage ist, ob sie aufholen können.

Wie es weitergeht: Die Hersteller haben das Problem erkannt. Der frühere Toyota-Chef Toyoda predigte gerade auf dem Höhepunkt von Toyotas Profitabilität, dass die Industrie vor einer Jahrhundertwende stehe und auch Toyota untergehen könnte. In den vergangenen Jahren begannen er und seine Kollegen daher ihre eigenen Elektroauto-Offensiven – mit einem japanischen Zungenschlag.

  • Toyota exerziert das Wendemanöver gerade beispielhaft vor. Die Strategie laute «Erbe und Evolution», sagte der neue Konzernchef Koji Sato, der im April Akio Toyoda, den Enkel des Toyota-Gründers, ablöste. «Wir verfolgen weiterhin einen mehrgleisigen Ansatz», sagte der 53-Jährige kürzlich. Der Konzern wird alle Antriebe weiterentwickeln. Den Schwerpunkt will Sato aber vorerst auf Elektroautos legen. Bis 2026 plant der Konzern, 10 neue batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) auf den Markt zu bringen. Der jährliche Absatz von BEV soll bis dahin von 26 000 Autos im Jahr 2022 auf 1,5 Millionen BEV oder 15 Prozent des Absatzes steigen. Für 2030 rechnet Toyota weiterhin mit einem BEV-Anteil von rund einem Drittel.
  • Nissan beschleunigt ebenfalls: Bis 2030 will das Unternehmen nun 27 «elektrifizierte» Modelle auf den Markt bringen, 4 mehr als bisher. Bei den zusätzlichen Modellen handelt es sich samt und sonders um BEV, der Rest werden Hybride sein. Wenn sie sich in ihrer kriselnden Partnerschaft mit Renault zusammenraufen, können die Japaner sogar auf Synergien und niedrigere Kosten hoffen.
  • Honda peilt bis 2030 sogar mehr als 2 Millionen Elektroautos an. Zudem hat das Unternehmen angekündigt, dass bis 2040 alle Produkte emissionsfrei sein sollen, sei es elektrisch oder per Brennstoffzelle. Besonders in China will Honda bis 2027 mit 10 BEV angreifen. Bis 2035 soll dann im Reich der Mitte die gesamte Flotte batterieelektrisch unterwegs sein, ein paar Jahre vor anderen Märkten.

Bei ihrer Aufholjagd setzen die Japaner grosse Hoffnung auf eine neue Batterietechnik, die Feststoffbatterie. Sie weist eine deutlich höhere Energiedichte auf als die bisherigen Lithiumionenbatterien mit flüssigem Elektrolyt. Kein Automobilhersteller hat mehr Patente für diese Technologie als Toyota. Aber auch Nissan und Honda sind weit fortgeschritten und dürften anderen Herstellern damit zuvorkommen. Der deutsche Premiumhersteller BMW will ab 2030 Autos damit ausstatten, Nissan schon 2028.

Das meinen wir: Der Rückstand ist gross, aber nicht uneinholbar, zumindest für die drei stärksten japanischen Hersteller Toyota, Honda und Nissan. Ein Vorteil ist ihre Dominanz in der Hybridtechnologie. Damit verfügen die Unternehmen nicht nur über viel Know-how bei elektrifizierten Antrieben und auch bei der Batterietechnik, sondern auch über Skaleneffekte bei wichtigen Komponenten für Elektroautos.

Ob Feststoffbatterien allerdings einen grossen Vorteil darstellen werden, ist noch keineswegs sicher. Denn andere Akkutechnologien werden ebenfalls rasant weiterentwickelt und könnten billiger sein.

Am besten ist hier noch Toyota aufgestellt, obwohl der Konzern mit am weitesten zurückliegt. Das liegt zum einen an der vergleichsweise hohen Profitabilität, zum anderen an den Stückzahlen, auf die Toyota letztlich Entwicklungskosten verteilen kann. So haben sich bereits die Marken Suzuki, Mazda und Subaru dem Toyota-Reich angeschlossen. Zusammen produzieren die Hersteller derzeit rund 16 Millionen Autos.

Dennoch leiden die etablierten Autobauer im Vergleich zu reineren BEV-Herstellern aus heutiger Sicht darunter, dass sie nicht nur neue Produktionslinien bauen müssen, sondern auch die alten erhalten. Dieses Erbe kann sich aber auch noch positiv auszahlen. Denn steigende Preise für die Rohstoffe, die BEV benötigen, oder gar ernste Engpässe könnten reine Stromer plötzlich bremsen.

Politische Kehrtwenden sind ein weiteres Risiko. So hat die Europäische Union gerade die Tür einen Spalt für synthetische Brennstoffe geöffnet, die aus Biomasse oder Kohlendioxid hergestellt werden können und daher als klimaneutral gelten.

Das Problem ist, dass vielen Herstellern die Grösse fehlt, auf mehrere Antriebsarten zu wetten. Am ehesten kann es sich Toyota leisten, mehrere Antriebsstränge weiterzuentwickeln und dann je nach Markt flexibel die unterschiedlichen Kundenwünsche zu bedienen. Denn das ist das Denken der Japaner: Die Kaufenden entscheiden, nicht die Hersteller. Die Kunst besteht darin, als Koloss flexibel und schnell genug zu sein, um die Modewellen zu reiten – und nicht von der Flut neuer Hersteller aus China und womöglich anderen Regionen weggespült zu werden.

Autor: Martin Kölling · Artikel aus der NZZ · Bild: Derzeit werden deutlich weniger japanische Elektroautos gebaut als chinesische. (Kiyoshi Ota / Bloomberg)

Mit freundlicher Genehmigung der NZZ und auf vertraglicher Grundlage.

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