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Indonesiens neuer Präsident tritt in grosse Fussstapfen. Was zeichnet die «Jokowinomics» des scheidenden Staatsoberhaupts aus?

Indonesiens neuer Präsident tritt in grosse Fussstapfen. Was zeichnet die «Jokowinomics» des scheidenden Staatsoberhaupts aus?

Selbst nach zehn Jahren im Amt ist Indonesiens Präsident Joko Widodo auch wegen seiner Wirtschaftspolitik noch populär. Seine «Jokowinomics» basierte auf einer Reform des Arbeitsrechts, Investitionen in die Infrastruktur und einem Exportstopp für Nickel.
Indonesiens scheidender Präsident Joko Widodo forcierte den Ausbau der Infrastruktur.

2024 gilt als das Superwahljahr weltweit. 3,6 Milliarden Menschen dürfen in mehr als sechzig Ländern ihre Regierungen wählen. Im Jahr der demokratischen Superlative sticht Indonesien besonders heraus: An diesem Mittwoch sind annähernd 205 Millionen Indonesierinnen und Indonesier aufgerufen, ihren Präsidenten, das Parlament, die Gouverneure in den Provinzen, die Regionalparlamente sowie die Landräte und Bürgermeister zu wählen.

Im Mittelpunkt steht die Wahl des neuen Präsidenten. Er folgt auf Joko Widodo, den in Indonesien alle nur Jokowi nennen. Jokowi darf nach zwei Amtszeiten nicht wieder antreten. Sollte einer der drei Bewerber am Mittwoch nicht die erforderlichen 50 Prozent erreichen, gibt es am 26. Juni eine Stichwahl.

Eines der am schnellsten wachsenden Schwellenländer

Der Nachfolger tritt in grosse Fussstapfen. Jokowi ist auch am Ende seiner Amtszeit populär. In Umfragen bescheinigen ihm mehr als 70 Prozent, einen guten Job gemacht zu haben. Gelobt wird vor allem seine Wirtschaftspolitik «Jokowinomics».

Jokowi hatte 2014 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 7 Prozent pro Jahr versprochen. Fünf Jahre später wurde das Versprechen dann auf 6 Prozent gesenkt. Rechnet man den Einbruch der Covid-Pandemie heraus, ist die indonesische Wirtschaft unter Jokowi jedoch «nur» um jährlich 5 Prozent gewachsen.

Indonesien ist dennoch eines der am schnellsten wachsenden Schwellenländer. Die Ökonomen der Denkfabrik Capital Economics rechnen damit, dass Indonesien 2050 die fünftgrösste Volkswirtschaft der Welt sein wird. 2022 belegte das südostasiatische Land in dem Ranking noch den 16. Platz.

Die Elemente der Wirtschaftspolitik von Joko Widodo

Drei Elemente zeichnen die «Jokowinomics» aus.

Erstens ist seit März vergangenen Jahres das «Omnibus Law» in Kraft. Es soll ausländische Investoren anlocken und neue Jobs schaffen. Zu den Reformen zählen niedrigere Unternehmenssteuern, ein besserer Schutz des geistigen Eigentums sowie Erleichterungen beim Erwerb von Grundstücken. Zudem ist es für Unternehmen einfacher und billiger, Personal zu entlassen.

Wer vor Inkrafttreten des «Omnibus Law» fünf Jahre angestellt war, hatte bei einer Entlassung Anspruch auf eine Abfindung von 60 Wochensalären, annähernd dreimal so viel wie in Vietnam. Für Indonesien war das bisher rigide Arbeitsrecht ein Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Ländern bei der Ansiedlung ausländischer Investoren. Nach der Reform müssen die Unternehmen noch 24 Wochensaläre Abfindung zahlen. Das Niveau entspricht nun jenem der Philippinen und Vietnams.

Zweitens hat Indonesien unter Jokowi im Januar 2020 ein Exportverbot für unverarbeitetes Nickel verhängt. Der Rohstoff ist für die Herstellung von rostfreiem Stahl sowie für Nickel-Mangan-Cobalt-Batterien (NMC-Batterien) im Zug der Energiewende wichtig. Jokowi verfolgte damit das Ziel, die Wertschöpfung vom Abbau des Rohstoffs bis zum fertigen Endprodukt im Land zu halten, um den Export höherwertiger Produkte zu fördern. Derzeit stammt rund die Hälfte des weltweit abgebauten Nickels aus Indonesien.

Die Massnahme wirkt. Die ausländischen Direktinvestitionen in Indonesiens Metall- und Bergbausektor haben sich gegenüber 2019 auf annähernd 17 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Im Juli vergangenen Jahres waren 43 Nickelhütten in Betrieb, 28 in Bau und 24 in Planung. Und die Exporte von veredelten Produkten seien in den vergangenen zehn Jahren um das Zehnfache gestiegen, heisst es bei Capital Economics. An rund 90 Prozent der Nickel verarbeitenden Betriebe sind chinesische Firmen massgeblich beteiligt.

Schlechte Noten von der Weltbank

Drittens trieb Jokowi den Ausbau der Infrastruktur voran. «Bauen, bauen, bauen» lautete seine Devise. Und er konnte Erfolge aufweisen: Die Stromerzeugungskapazitäten haben sich während seiner Amtszeit um 50 Prozent erhöht. Der Bevölkerungsanteil mit Internetzugang hat sich verdreifacht. Und die Hafenkapazitäten stiegen um 30 Prozent.

Zudem ist Ende September vergangenen Jahres der erste Hochgeschwindigkeitszug in Südostasien in Betrieb genommen worden. Die Fahrt zwischen Jakarta und Bandung, Hauptstadt der Provinz Westjava, dauert mit dem Auto mehr als 3 Stunden. Nun legen die Passagiere die Strecke mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 350 Kilometern pro Stunde in rund 45 Minuten zurück.

Und nach den Plänen der Regierung soll es künftig eine Verbindung von Jakarta bis Surabaya, Hauptstadt der Provinz Ostjava, geben.

Allerdings hat Indonesien noch immer erheblichen Nachholbedarf bei der Infrastruktur. So sind zwar die staatlichen Investitionen in den ersten drei Jahren unter Jokowi stark gestiegen: von umgerechnet 8,6 Milliarden auf 23 Milliarden Franken. Seitdem stagnieren sie jedoch. Die Investitionen in die Infrastruktur sind im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung denn auch wieder gesunken, obwohl die Defizite gross bleiben: Indonesien belegt im Logistics-Peformance-Index der Weltbank unter 139 Ländern nur den 63. Platz, hinter Malaysia, Thailand, den Philippinen und Vietnam.

Im dritten Anlauf soll es klappen

Die annähernd 205 Millionen wahlberechtigten Indonesier können am Mittwoch zwischen drei Kandidaten wählen: Der deutliche Favorit ist der bisherige Verteidigungsminister Prabowo Subianto, der 2014 und 2019 Jokowi unterlegen war. Die Demoskopen gehen davon aus, dass es ihm im dritten Anlauf gelingen wird, indonesisches Staatsoberhaupt zu werden. In den Umfragen liegt er zwischen 45 und 48 Prozent.

Prabowo steht der Wirtschaftspolitik von Jokowi nah. Zudem hat er den ältesten Sohn des amtierenden Präsidenten als Vizepräsidentschaftskandidaten gewonnen. Dadurch färbt die Popularität Jokowis auf den 72-jährigen Prabowo ab. Und Jokowi selbst wirbt für die Wahl des bisherigen Verteidigungsministers zu seinem Nachfolger.

Prabowos Programm baut auf dem seines Vorgängers auf. «Wir wollen, dass Indonesien seine eigenen Autos, seine eigenen Motorräder und seine eigenen Elektrofahrzeuge herstellt. Wir müssen die Selbstversorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Energie erreichen», fasst Prabowo seine Ideen für die kommenden fünf Jahre zusammen.

Er verspricht ein durchschnittliches Wachstum von 8 Prozent pro Jahr und will in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit «extreme Armut» ausmerzen. In Indonesien gelten 25,9 Millionen Menschen als arm, etwas mehr als 9 Prozent der Bevölkerung. «Extrem arm» sind 1,5 Prozent der Bevölkerung, sie haben umgerechnet weniger als 1,9 Dollar pro Tag zur Verfügung.

Auch Ganjar Pranowo als zweiter Kandidat will den Kurs des amtierenden Präsidenten fortsetzen. Der 55-Jährige verfügt als einstiger Gouverneur der Provinz Zentraljava über grosse politische und administrative Erfahrung. Ihm wird attestiert, während seiner Amtszeit in einer der grössten indonesischen Provinzen einen guten Job gemacht zu haben.

Ganjar verspricht ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 7 Prozent pro Jahr, die Schaffung 17 Millionen neuer Arbeitsplätze und die Armutsquote von derzeit 9,4 auf 2,5 Prozent zu senken. Er will wie Prabowo die von Jokowi eingeleitete Entwicklung fortsetzen und die Massnahmen verbessern.

Ein Kandidat gibt den Anti-Jokowi

Der 54-jährige Anies Baswedan, der von den konservativen Muslimen unterstützt wird, setzt sich am stärksten von Jokowi ab. Er war Gouverneur von Jakarta und gehörte als Minister für Bildung und Kultur dem ersten Kabinett von Jokowi an. Er verspricht ein jährliches Wachstum zwischen 2025 und 2029 von bis zu 6,5 Prozent.

Er will bis 2029 die Zahl der Armen halbieren und extreme Armut ausmerzen. Und im Gegensatz zu seinen beiden Konkurrenten denkt er gar darüber nach, die von Jokowi begonnene Umsiedlung der Hauptstadt von Jakarta nach Nusantara, die im Osten der Insel Borneo liegt, zu stoppen.

Anies werden am Mittwoch jedoch die geringsten Chancen eingeräumt. In den Umfragen liegt er mit 21 Prozent noch hinter Ganjar, der 25 Prozent erhalten könnte. Prabowo dürfte spätestens in der Stichwahl am 26. Juni das Rennen machen. Sein Vorsprung ist zu gross.

Autor: Matthias Müller, Jakarta · Artikel aus der NZZ · Bild: Indonesiens scheidender Präsident Joko Widodo forcierte den Ausbau der Infrastruktur. (Dita Alangkara / AP)

Mit freundlicher Genehmigung der NZZ und auf vertraglicher Grundlage.

 

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