Die Belt-and-Road-Initiative (BRI) wird bald zehn Jahre alt. Im Herbst 2013 hatte sie Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping der Welt vorgestellt. Die BRI sollte Europa und Asien durch neue Autobahnen, Bahnlinien, Pipelines verbinden. Vom Südchinesischen Meer bis zum Suezkanal sollten industrielle Hafenstädte gebaut werden. Schon damals war die BRI eine gigantische Initiative und eine außenpolitische PR-Kampagne.
Bis heute sind im Rahmen der BRI über eine Billion Dollar investiert worden. Westliche Kommentatoren schreiben regelmäßig über die zahlreichen Länder, die angeblich wegen BRI-Projekten überschuldet seien. Wenn dann China BRI-Kredite neu verhandeln muss, wird oft insinuiert, China habe sich mit der Initiative übernommen, die BRI sei gescheitert.
Doch in der BRI werden Tausende Infrastrukturprojekte zusammengefasst, ein pauschales Urteil über sie ist kaum möglich. Je genauer man hinschaut, desto vielfältiger und damit komplexer wirkt die BRI. Jedes Infrastruktur-Projekt hat seine eigene Geschichte, seine eigenen wirtschaftlichen, finanziellen oder politischen Besonderheiten.
Neben all den Schwierigkeiten gab es für China auch Erfolgsgeschichten, allen voran politische. Das zeigt ein Blick auf drei wichtige Projekte.
Der Hafen von Piräus, der «Drachenkopf» der BRI
Der Hafen von Piräus wird als «Drachenkopf» der BRI bezeichnet. Doch eigentlich ist das chinesische Engagement dort vier Jahre älter als die Initiative. Der chinesische Staatskonzern Cosco begann 2009 zwei Container-Terminals des Hafens zu betreiben, nachdem er bei der internationalen Ausschreibung der einzige Bewerber war. Cosco erwarb 2016 eine Mehrheitsbeteiligung am ganzen Hafen, als die griechische Regierung während der Schuldenkrise ein Privatisierungsprogramm durchführen musste.
Der wirtschaftliche Erfolg des Projektes ist sowohl für China wie für Griechenland offensichtlich. Von 2009 bis 2019 investierte Cosco Hunderte Millionen Dollar, das Volumen der umgeschlagenen Container des Hafens wuchs um das Siebenfache. Vergangenes Jahr erzielte die Hafenbehörde laut eigenen Angaben das beste Ergebnis in ihrer Geschichte. In Bezug auf die Abwicklung von Containern ist Piräus mittlerweile der siebtgrößte Hafen in Europa.
Gemäß Konstantinos Tsimonis, Wissenschaftler am Lau China Institute des King’s College London, nimmt der griechische Staat heute mehr Geld durch seine Beteiligung am Hafen ein als 2010. Und das obwohl der Staat damals noch 3/4 des Hafen besaß und heute lediglich noch 1/4.
Für China ist das Projekt ein großer politischer Erfolg. Als Xi Jinping den Hafen 2019 besuchte, sagte er, Piräus zeige, dass die BRI «kein Slogan oder Märchen, sondern eine erfolgreiche Praxis und brillante Realität» sei.
Gleichzeitig ist der Hafen von Piräus aus chinesischer Sicht erst der Anfang eines BRI-Korridors in Südosteuropa. Denn was bringt ein Drachenkopf, wenn sein Körper fehlt?
Die Bahnlinie Budapest-Belgrad als Teil eines größeren Korridors
In den Plänen Chinas liegt der Hafen von Piräus am Ende der «China-Europe Land-Sea Express Route», eines neuen Handelskorridors zwischen Europa und China.
Einer der wichtigsten Projektbestandteile an Land ist dabei der Bau einer modernen Bahnlinie zwischen Budapest und Belgrad. Für Passagierzüge sollte sich die Reisezeit zwischen den beiden Städten von acht auf vier Stunden halbieren.
2014 unterschrieben Ungarn, Serbien, Nordmazedonien und China den Bauvertrag. Der Bau hätte 2015 beginnen, 2017 die ersten Züge fahren sollen. Doch 2016 leitete die EU ein Verfahren gegen Ungarn ein, weil es sich nicht an die europäischen Vergabevorschriften gehalten hatte. Zudem kam es wegen Corona zu Verzögerungen. Mittlerweile soll Anfang 2025 mit Testfahrten begonnen werden.
Weil die ungarische Regierung die Machbarkeitsstudien und Verträge als geheim eingestuft hat, ist unbekannt, inwiefern sich das Projekt für Ungarn dereinst lohnen soll. Gemäß Tamás Matura, dem Präsidenten des Central and Eastern European Center for Asian Studies, gehen Experten davon aus, dass dies nie der Fall sein wird. Laut jüngsten Schätzungen werde das Vorhaben Ungarn inklusive Zinsen 3,9 Milliarden Dollar kosten.
Die hohen Kosten und die womöglich nie stattfindende Amortisation wurden mehrmals im ungarischen Parlament diskutiert. Ein Abgeordneter der Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán sagte dazu: «Wenn man bei jeder Infrastrukturinvestition danach entscheiden würde, ob sie sich irgendwann lohnen wird, dann würde Ungarn heute immer noch im Mittelalter leben.»
Ob sich die Bahnlinie auf der serbischen Seite lohnen wird, ist ebenfalls fraglich. Serbien seinerseits nahm für das Projekt bei der chinesischen Exim-Bank einen Kredit für 1,3 Milliarden Dollar auf.
Für China wäre es derweil ein großer Erfolg, wenn die Linie Budapest-Belgrad wie geplant fertiggestellt würde, ganz abgesehen von ihrer Bedeutung für den Korridor nach Piräus. Chinesische Unternehmen könnten sich dann europaweit als zuverlässige Partner bei großen Infrastrukturprojekten präsentieren. Sie hätten bewiesen, dass sie EU-Standards einhalten können. Die Bahnlinie wäre das Vorzeigeprojekt der BRI in der EU.
Laos als erstes Teilstück der Linie Kunming-Singapur
Das hochverschuldete Laos verfügt seit Dezember 2021 über eine Bahnlinie, die den chinesisch-laotischen Grenzort Boten und die laotische Hauptstadt Vientiane verbindet. Die laotischen Bemühungen, eine Eisenbahnlinie zu realisieren, sind älter als die BRI. Bevor sich die Regierung mit China auf ein Projekt einigte, hatte sie mehrere andere Länder angefragt.
2016 haben chinesische Unternehmen mit dem Bau der Linie begonnen, im Dezember 2021 verkehrten erstmals Passagierzüge. Gekostet hat das Projekt 6 Milliarden Dollar.
Gemäß Jessica DiCarlo, Wissenschaftlerin an der Universität Utah mit Fokus auf chinesisches Kapital und Infrastruktur als Triebkräfte für politischen und ökonomischen Wandel, muss die laotische Regierung lediglich 11 Prozent der Kosten direkt tragen. Sie sagt deshalb: «Ich sehe das Projekt nicht als das große Schuldenfallen-Monster, wie es vielerorts dargestellt wird.» Laut Schätzungen werde es 25 bis 35 Jahre dauern, bis die Bahnlinie amortisiert sei, so DiCarlo.
Aus chinesischer Perspektive besitzt das Projekt in Laos Gemeinsamkeiten mit demjenigen in Ungarn. Abermals geht es China darum, zu zeigen, dass es schnell und preiswert Infrastrukturprojekte realisieren kann. Denn für China ist die Bahnlinie in Laos lediglich ein erstes Teilstück einer Handelsroute, die dereinst vom chinesischen Kunming bis nach Singapur reichen soll. Das realisierte laotische Teilstück ist für China in dieser Hinsicht eine wichtige Errungenschaft.
Das Erfolgsmodell droht, an geopolitische Grenzen zu stoßen
Die Projekte in Piräus, Budapest und Laos sind für China in mehrerlei Hinsicht ein Erfolg. Bei allen drei Projekten konnte China überschüssige Industriegüter und Arbeitskräfte exportieren. Dieser Umstand allein ist bereits ein Gewinn für China, sofern es dereinst alle gewährten Kredite zurückerhält.
Zudem sind die drei Projekte beste Werbung für chinesische Unternehmen als Planer und Bauherren von komplexen Infrastrukturprojekten. Für die Bahnlinie in Laos bohrten sie innerhalb von fünf Jahren 75 Tunnels und bauten 167 Brücken.
Schließlich erhielte der Erfolg eine neue Dimension, falls die Handelsrouten realisiert würden, von denen die drei Projekte teil sind. Wenn Waren effizient zwischen Piräus und Budapest transportiert werden, könnten sich die enormen Investitionen für die beteiligten Länder wirtschaftlich lohnen. In Nordmazedonien sind die Autobahnen für die «China-Europe Land-Sea Express Route» in Bau, in Griechenland will China die Eisenbahninfrastruktur modernisieren.
Der Korridor in Südostasien, zu dem die Linie in Laos gehört, ist hingegen deutlich weiter davon entfernt, Realität zu werden. Zwar ist ein erstes Teilstück der Bahnlinie von Bangkok nach Vientiane in Bau. Doch zögert etwa Vietnam, Teil der Route zu werden.
Zögern, gar Verunsicherung ist in Bezug auf chinesische Projekte jüngst ebenfalls in Europa zu beobachten. Bestes Beispiel dafür ist die Kontroverse um die Minderheitsbeteiligung von Cosco an einem Containerterminal in Hamburg vom vergangenen Jahr. Italien, das der BRI seit 2016 angehört, beabsichtigt unter anderem wegen geopolitischer Erwägungen aus der Initiative auszusteigen.
Für China scheint ein Projekt wie in Piräus 2009 in Europa derzeit unmöglich. Es nützt wenig, dass chinesische Firmen preiswert nach EU-Standards bauen, wenn China von der EU als systemischer Rivale gesehen wird. Solange die Spannungen anhalten zwischen China und Europa sowie anderen Regionen, wird China mit seiner gigantischen PR-Kampagne kaum mehr ähnlich große Erfolge erzielen.
Autor: Philipp Wolf · Artikel aus der NZZ · Bild: Der Hafen von Piräus ist eines der Vorzeigeprojekte der Belt-and-Road-Initiative. (Alkis Konstantinidis / Reuters)
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