Thailands Herrscher hatten 400 Jahre lang einen Traum: Sie wollten im Süden ihres Landes, unweit der Grenze zu Malaysia, den Kra-Kanal bauen, um den Indischen mit dem Pazifischen Ozean zu verbinden. 135 Kilometer lang, 400 Meter breit und 30 Meter tief hätte er werden sollen. Daraus ist nichts geworden. Er war mit 55 Milliarden Dollar zu teuer, zu exponiert für terroristische Anschläge, und die Folgen für die Umwelt hätten verheerend sein können.
Bereits im kommenden Jahr soll der Bau beginnen
Thailands neuer Regierungschef Srettha Thavisin, der seit August vergangenen Jahres im Amt ist, hat nun einen neuen Traum. Statt eines Kanals soll wiederum im Süden eine Landbrücke für umgerechnet 25 Milliarden Franken gebaut werden. Sie soll Ranong, einen Ort an der Andaman-See, mit Chumphon am Golf von Thailand verbinden.
Srettha will eine Alternative zur Strasse von Malakka schaffen. Sie ist eine der meistbefahrenen Schiffsrouten der Welt. Ein Viertel der weltweit gehandelten Güter passiert jährlich die 800 Kilometer lange Meerenge zwischen der indonesischen Insel Sumatra und der malaysischen Halbinsel. Sie endet im Osten in Singapur und ist die kürzeste Schiffsroute, um vom Indischen in den Pazifischen Ozean zu gelangen.
Welche Dimensionen die Landbrücke hat, skizzierte Srettha in einem Artikel für die japanische Tageszeitung «Nikkei Asia». In Ranong und Chumphon sollen Tiefseehäfen mit einer Kapazität von jeweils 20 Millionen TEU (Twenty-Foot Equivalent Unit) entstehen, TEU ist der Fachbegriff für einen Standardcontainer.
Eine 90 Kilometer lange Autobahn sowie eine zweigleisige Zugstrecke sollen die beiden Tiefseehäfen miteinander verbinden. Zudem sind Gas- und Ölpipelines geplant, die die Rohstoffe aus dem Nahen Osten von Ranong nach Chumphon pumpen werden. Dort werden Tanker bereitstehen, um Gas und Öl nach China, Japan sowie Südkorea zu verschiffen.
Thailands Kabinett hat die Landbrücke bereits verabschiedet. Derzeit werden Machbarkeitsstudien erstellt, Geschäftsmodelle geprüft und die Auswirkungen auf die Umwelt sowie die Gesundheit der Bevölkerung evaluiert.
Geht alles glatt, soll die erste von vier Bauphasen im September 2025 beginnen und fünf Jahre später fertig sein. Die thailändische Regierung verspricht sich von dem Projekt eine wirtschaftliche Belebung des Südens, die Schaffung von 280 000 Jobs und einen kräftigen Schub für das Wirtschaftswachstum auf jährlich 5,5 Prozent. Thailands Wirtschaft hätte es bitter nötig, der einstige Tigerstaat schwächelt seit Jahren.
Der einstige Tigerstaat Thailand schwächelt
Srettha preist das Projekt als «billigere, schnellere und sichere Variante» zur Strasse von Malakka. Derzeit passieren sie jährlich mehr als 100 000 Schiffe – mit steigender Tendenz, weil der asiatische Wirtschaftsraum immer wichtiger wird. Die Meerenge sei eines Tages zu verstopft, weshalb sich Unfälle häuften, so eines der Argumente für den Bau der thailändischen Landbrücke.
Eine Herkulesaufgabe für Logistiker
Der Deutsche Marco Neelsen leitet seit sieben Jahren den malaysischen Tiefseehafen Port of Tanjung Pelepas. Er liegt gegenüber von Singapur. Den Bau des neuen Hafens im Stadtstaat kann Neelsen mit blossem Auge verfolgen. In Singapur soll der neue Tiefseehafen Ende 2040 fertig sein und eine Kapazität von 65 Millionen TEU haben.
13 der 15 grössten Häfen der Welt liegen in Asien
Auf der malaysischen Seite im Port of Tanjung Pelepas ist zwar alles eine Nummer kleiner. Aber auch dieser Hafen wächst. Künftig können dort 15 Millionen TEU jährlich umgeschlagen werden.
Müssen die Häfen entlang der Strasse von Malakka wegen des neuen Konkurrenten in Thailand nervös werden? Neelsen gibt sich im Gespräch gelassen. «Ich sehe das Problem nicht. Die Strasse von Malakka ist zwar stark befahren, aber nicht verstopft. Es braucht keine Entlastung durch die Landbrücke.»
Zudem sparen die Containerreedereien durch die Landbrücke für Touren nach Ostasien gerade einmal 1200 Kilometer. Ein Vergleich mit dem Suezkanal zeigt, wie gering die Entlastung wäre: Eine Tour von Rotterdam nach Singapur durch den Suezkanal ist 15 630 Kilometer lang. Ist dieser blockiert, wie derzeit durch die Angriffe der Huthi-Miliz in Jemen auf Frachter im Roten Meer, müssen die Schiffe das Kap der Guten Hoffnung ganz im Süden Afrikas umfahren. Die Tour ist dann 6000 Kilometer länger.
Schliesslich stehen die Containerreedereien bei der Nutzung der Landbrücke vor einer logistischen Herkulesaufgabe. Die Ware muss zunächst gelöscht, dann auf Lastwagen oder Züge verfrachtet, wieder abgeladen und schliesslich auf Schiffe verladen werden. Entlang der Transportkette kann viel passieren: «Die Container können beschädigt werden oder verlorengehen. Solche Risiken stellen auch Versicherer vor Herausforderungen», sagt Neelsen.
Ob die Containerreedereien, wie von Srettha versprochen, durch die Nutzung der Landbrücke bei all dem Aufwand vier Tage oder 15 Prozent der Kosten sparen werden, muss sich erst noch weisen. Zweifel bestehen. Für die Containerreedereien dürfte die Strasse von Malakka die bevorzugte Route bleiben, um Güter und Rohstoffe nach Indonesien, Ostasien und Ozeanien zu transportieren. «Der Welthandel wird durch die Landbrücke in Thailand nicht umgelenkt», sagt Neelsen.
Durch diese Meerenge muss sie kommen: «Malakka-Dilemma»
Und trotz allen ökonomischen Bedenken wird die Landbrücke eine immense geopolitische Bedeutung haben, denn die Strasse von Malakka ist die Achillesferse der chinesischen Energieversorgung. Von Chinas einstigem Partei- und Staatschef Hu Jintao stammt der Ausdruck «Malakka-Dilemma». Vor einigen Jahren passierten noch 80 Prozent der chinesischen Gas- und Ölimporte die Meerenge, ein gefährliches Nadelöhr.
Für Amerika wäre es ein Leichtes, bei einem Konflikt um Taiwan die Strasse von Malakka abzuriegeln und den Transport wichtiger Güter sowie Rohstoffe nach China zu unterbinden. Peking verfolgt deshalb eine mehrstufige Strategie, damit aus dem Malakka-Dilemma kein Trauma wird. Die Landbrücke in Thailand ist ein weiteres Teil im chinesischen Puzzle.
Bis jetzt hat China zwei Alternativen, um die Strasse von Malakka zu umgehen. Zum einen ist im Rahmen des China-Pakistan Economic Corridor in Gwadar am Golf von Oman ein Tiefseehafen gebaut worden. Durch die Anbindung an Schiene und Strasse können so Güter und Rohstoffe durch Pakistan in die westliche chinesische Provinz Xinjiang transportiert werden. Zum anderen beginnen in der Bucht von Bengalen Gas- und Ölpipelines, die durch Myanmar verlaufen und in Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan, enden.
Eine weitere Alternative, um die Strasse von Malakka zu umgehen, soll die Landbrücke in Thailand bieten: Güter, Nahrungsmittel und Rohstoffe werden bis Ranong verschifft und auf dem Landweg nach Chumphon transportiert. Dort ist es vom Golf von Thailand ins Südchinesische Meer nicht mehr weit. Die Ladung ist schnell in chinesischen Gewässern. Peking frohlockt.
Mit dem Zug von China bis Singapur
Und die Landbrücke bietet auch die Chance, Waren auf dem Landweg zu transportieren. Thailands Regierung treibt parallel dazu den Ausbau der Eisenbahnverbindung vom Süden über Bangkok in den Nordosten des Landes voran. Dann hätte man über Laos Zugang zum chinesischen Netz für Hochgeschwindigkeitszüge. Peking kommt so dem Ziel näher, dass eines Tages Züge von China bis nach Singapur fahren.
Der thailändische Regierungschef auf Roadshow
Washington treibt das Vorhaben um. Wie nervös die Amerikaner sind, zeigt ein Bericht in «Nikkei Asia». Vertreter der amerikanischen Botschaft in Thailand sollen 2020, als die Überlegungen zur Landbrücke bekanntwurden, in Ranong vorstellig geworden sein, um den regionalen Wirtschaftsvertretern das Projekt auszureden: Es werde sich wegen der chinesischen Beteiligung für sie nicht rechnen.
Die diplomatischen Versuche dürften zu spät erfolgen. Wie ernst es Srettha mit der Landbrücke ist, zeigen seine Touren im Herbst vergangenen Jahres, als er sie in Peking, Riad und San Francisco Investoren präsentierte. In Eigenregie wird Thailand das milliardenschwere Vorhaben nicht verwirklichen können. Dafür fehlt es an Geld und Know-how. Über beides verfügt China. Auch Saudiarabien kommt als Investor infrage.
Zweifel bestehen dagegen daran, ob sich amerikanische Unternehmen dafür interessieren. Amerika wäre dann bei dem geopolitischen Projekt nur Zuschauer.
Autor: Matthias Müller, Singapur · Artikel aus der NZZ · Bild: Schiffe warten auf die Einfahrt in den Hafen von Singapur. (Vivek Prakash / Reuters)
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