Meldungen & Publikationen

Im Zangengriff Pekings: Hongkong ringt mit seiner Identität

Im Zangengriff Pekings: Hongkong ringt mit seiner Identität

Die Führung der früheren britischen Kolonie will den nationalistischen Machthabern in Peking gefallen und gleichzeitig den weltoffenen Charakter der Stadt bewahren – ein unmöglicher Spagat.
Abgesehen vom chinesischen Neujahrsfest haben Hongkonger immer weniger zu feiern. (Lam Yik / Reuters)

Schon ein banaler Anlass wie ein Fussballspiel reicht inzwischen, um Hongkong zu einer politischen Attacke gegen den Westen zu bewegen. «Die Hongkonger hassen Messi, Inter Miami und die schwarze Hand dahinter für die beabsichtigte und kalkulierte Brüskierung Hongkongs», schrieb die Hongkonger Parlamentsabgeordnete Regina Ip kürzlich auf X.

Auslöser für Ips augenscheinliche Breitseite gegen das Ausland war ein Freundschaftsspiel von Inter Miami gegen die Mannschaft Hongkongs Anfang Februar, bei dem der Inter-Coach den Starkicker Lionel Messi auf der Bank liess, angeblich wegen einer Beinverletzung. 40 000 Hongkonger Fans waren enttäuscht, Ip witterte gleich eine politische Verschwörung aus dem Ausland.

Was die Sache nicht besser machte: Bei einem Spiel wenige Tage später in Tokio stand Messi auf dem Platz. Das Verhältnis zwischen China und Japan ist historisch noch immer belastet.

Verbale Rundumschläge gegen «dunkle Mächte»

Mit ihrer scharfen Rhetorik reiht sich die Hongkonger Parlamentarierin Ip in die Riege der Pekinger Wolfskrieger-Politiker ein, die schon bei kleinsten Anlässen zu verbalen Rundumschlägen gegen vermeintlich dunkle Mächte im Westen ausholen, die China angeblich demütigen und kleinhalten wollen.

Schon seit Jahren agieren westliche Marken und Prominente in China wie bei einem Drahtseilakt, stets bemüht, bei öffentlichen Auftritten oder Werbekampagnen Chinas Nationalisten nicht auf die Füsse zu treten und anschliessend Opfer politischer Anfeindungen zu werden.

Im weltoffenen und internationalen Hongkong, das sich als die «Weltstadt Asiens» zu vermarkten versucht, war man solcherlei bisher nicht gewohnt. Die 7,5-Millionen-Einwohner-Stadt war auch lange nach der Rückgabe durch Grossbritannien an China 1997 politisch, kulturell und gesellschaftlich dem Westen viel näher als dem kommunistischen China.

Politiker beten Pekinger Propaganda nach

Doch in den vergangenen Jahren hat sich das geändert. Hongkonger Politiker und Behördenvertreter versuchen in zunehmendem Masse, den Herrschern in Peking zu gefallen. Dazu übernehmen sie oft in vorauseilendem Gehorsam deren nationalistische Rhetorik und beten die Propaganda der Kommunistischen Partei nach.

Bei öffentlichen Auftritten weisen beispielsweise Vertreter der örtlichen Wirtschaftsförderung auf die Rede des Staats- und Parteichefs Xi Jinping am 20. Parteitag der KP im Oktober 2022 hin, streichen die grosse Bedeutung des 14. Fünfjahresplans für Hongkong heraus und bedanken sich artig für die Unterstützung durch «das Mutterland».

John Lee, der Hongkonger Regierungschef, marschiert dabei voran. Bei seiner Eröffnungsrede am Asian Financial Forum Ende Januar hob der frühere Polizist schon nach wenigen Minuten zu einer Lobrede auf Xis sogenannte Initiative für die globale Entwicklung.

«Die Initiative tritt für ein gegenseitig gewinnbringendes Modell auf der Grundlage einer offenen und inklusiven Kooperation ein», rief Lee den aus aller Welt angereisten Vertretern der Finanzwirtschaft zu und fügte hinzu: «Die Initiative erfährt substanzielle Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft.» Die sogenannte Initiative für die globale Entwicklung ist eines von drei Konzepten, mit denen Xi Chinas Einfluss in der Welt vergrössern will.

Die Grenzen verwischen

In der Wahrnehmung der internationalen Gemeinschaft verwischen die Grenzen zwischen dem chinesischen Festland und Hongkong zunehmend. Wohl auch weil die Hongkonger Regierungsvertreter dies wissen, versuchen sie die nach wie vor vorhandenen Unterschiede zum chinesischen Festland herauszustreichen: das auf dem britischen Common Law basierende Rechtssystem, den offenen Kapitalverkehr und die Bindung der Hongkonger Währung an den amerikanischen Dollar.

Doch langfristig ist dies ein unmöglicher Spagat, denn internationale Konzerne und Fonds wollen Gewissheit und Berechenbarkeit über den politischen Kurs. «Hongkong steckt in einer Identitätskrise», sagt der Chef einer internationalen Beratungsgesellschaft in Hongkong. «Die Regierung weiss nicht, ob sie das Common Law oder chinesisches Recht will, ob sie noch Hongkong oder schon China sein will.»

Dabei ist es wohl weniger direkter politischer Druck aus Peking als eine allgemeine Verunsicherung, die die politische Elite in Hongkong dazu treibt, sich China anzubiedern. Wang Xiangwei, der den Lehrstuhl für Kommunikation an der Hong Kong Baptist University bekleidet, spricht von einer zunehmenden «Festlandisierung» Hongkongs durch die eigene örtliche politische Elite. Diese führe dazu, dass die Stadt allmählich ihren besonderen Status und ihre spezifischen Vorteile verliere.

Sicher, die chinesische Zentralregierung hat seit den Protesten im Jahr 2019 ihren Griff um die frühere britische Kronkolonie markant verstärkt. Zunächst musste Hongkong die Null-Covid-Politik Chinas in weiten Teilen übernehmen. Das Gesetz zur nationalen Sicherheit, das Peking 2020 in Hongkong einführte, schaltete die politische Opposition aus und schaffte wesentliche Freiheitsrechte ab. Das Gesetz markierte eine Zäsur.

Hongkongs Politiker sollten vorangehen

Doch auch das sollte die Hongkonger Politiker nicht davon abhalten, voranzugehen und offensiv die Vorzüge ihrer Stadt herauszustreichen statt in der Passivität zu verharren oder auf Anweisungen aus Peking zu warten und im Zweifel die Propaganda der KP nachzubeten. Schliesslich war es Deng Xiaoping, der Vater der Reformen in China, der darauf hinwies, dass sich mit Hongkongs Know-how in China viele weitere Hongkongs schaffen liessen.

«Hongkong hätte seine Rolle dazu nutzen sollen, die politischen Entscheidungsprozesse in Peking so zu beeinflussen, dass sie Investitionen und den Handel fördern», sagt deshalb Wang Xiangwei. «Unglücklicherweise ist nicht zu erkennen, dass Hongkong dies tut.»

Hongkongs grösstes Problem ist der Staats- und Parteichef Xi Jinping. Xi hat in der Vergangenheit zwar öffentlich betont, Hongkong müsse sein kapitalistisches System beibehalten und über ein hohes Mass an Autonomie verfügen.

Mit Blick auf seine Überzeugungen sind allerdings Zweifel angebracht. So spricht Xi in Vorträgen gern von einer «Finanzkultur mit chinesischen Eigenschaften», die eine «einseitige Fokussierung auf Profitstreben» vermeiden müsse. Dabei war es gerade das Profitstreben, das Hongkong reich gemacht hat.

Nationale Sicherheit vor wirtschaftlicher Prosperität

Xi lässt ausserdem keinen Zweifel daran, dass ihm nationale Sicherheit vor wirtschaftlicher Prosperität geht. Für ein Finanzzentrum, das bislang von Offenheit und einem ständigen Austausch mit der Welt lebte, ist eine solche Fokussierung Gift.

«Hongkong muss erklären, warum Unternehmen die Stadt als Drehscheibe brauchen», schreibt die Analystin Alicia Garcia Herrero, «nicht nur als Tor nach China, sondern auch für andere Märkte.»

Die Bewohner und Unternehmen stimmen derweil mit den Füssen über die Zukunft Hongkongs ab. Mehrere internationale Fonds haben in der jüngsten Zeit ihre Büros in Hongkong geschlossen. Rund 200 000 Menschen – Ausländer und Hongkonger – haben seit der Pandemie die Stadt verlassen, und die Zahl der Firmen, die in Hongkong ihre regionale Zentrale unterhalten, ist zwischen 2019 und 2022 von 1541 auf 1411 gesunken.

Die Regierung versucht nun, mit einem speziellen Talent-Programm Ausländer nach Hongkong zu locken. Zwischen Januar und Juni 2023 haben die Behörden 25 000 entsprechende Anträge bewilligt – 94 Prozent davon kamen von Chinesinnen und Chinesen. Die «Festlandisierung» Hongkongs schreitet voran.

Autor: Matthias Kamp, Hongkong · Artikel aus der NZZ · Bild: Abgesehen vom chinesischen Neujahrsfest haben Hongkonger immer weniger zu feiern. (Lam Yik / Reuters)

Mit freundlicher Genehmigung der NZZ und auf vertraglicher Grundlage.

Facebook
Twitter
LinkedIn

Unser Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie den Newsletter der Asienbrücke.

Wir nehmen den Schutz Ihrer persönlichen Daten ernst und möchten einen Missbrauch Ihrer E-Mail-Adresse vermeiden. Ihre E-Mail-Adresse wird nur zum Versand des Newsletters verarbeitet. Nach dem Absenden Ihrer Anmeldung erhalten Sie eine automatisch generierte E-Mail, die einen Link zur Bestätigung der Newsletter­bestellung enthält. Erst wenn Sie diese Seite aufrufen, wird die Bestellung wirksam. Sie können Ihre Ein­willi­gung jederzeit zurückziehen und sich wieder vom Newsletter abmelden. Der Widerruf kann insbesondere durch Klick des Abbestelllinks in den zugesandten Nachrichten erfolgen.